Existenzangst bedrückt viele Ärzte im Siebengebirge

Mediziner kommen mit dem zugewiesenen "Regelleistungsvolumen" nicht aus

Siebengebirge. "Eigentlich könnte ich jetzt die Arbeit für dieses Quartal einstellen, das meiner Praxis zugewiesene Regelleistungsvolumen fürs erste Quartal haben wir bereits erreicht", sagte jetzt auf Anfrage Brita Larenz, Allgemeinmedizinerin aus Heisterbacherrott. Folglich arbeitet sie bis Ende März "für Gottes Lohn". Was über das der Praxis zugewiesene Regelleistungsvolumen hinausgeht, wird von der Kassenärztlichen Vereinigung nicht vergütet.

Das Wort an sich ist schon ein Ungetüm. Und so grässlich, wie es sich anhört, wirkt es sich nach Meinung vieler Mediziner im Siebengebirge auch in der Praxis aus. Das im Zuge von Honorarreform und Gesundheitsfonds neu eingeführte "Regelleistungsvolumen" ist im Begriff, nach noch nicht einmal drei Monaten großes Missfallen der Ärzte auf sich zu ziehen. Und mehr als das: "Es gibt Praxen mit Existenzängsten und welche, die Personal entlassen", bestätigt der Obmann der Honnefer Ärzteschaft, Harald Bohnau.

Allgemeinmediziner Fredy Bertram etwa, der gemeinsam mit dem Internisten Uwe Petry eine Praxis an der Unkeler Pützgasse betreibt, sagt klipp und klar: "Seit der Honorarreform geht es drastisch bergab, die Existenz der Praxis ist bedroht. Einschnitte beim Personal sind erforderlich, Einsparmaßnahmen bereits erfolgt." Bertram erwartet im zweiten Quartal 2009 bei gleich bleibender Patientenzahl gegenüber dem Vergleichsquartal 2008 eine Honorareinbuße von 30 Prozent.

Allgemeinmediziner Thorsten Werkhausen (39) aus Königswinter-Thomasberg hatte Ende Januar vorgewarnt, er werde dieses Jahr nicht mehr genug Honorar bekommen, um seine Kassenpatienten zu versorgen. Bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung solidarisierten sich viele seiner Patienten mit ihm, schrieben ihre Krankenkassen an. Um die 1 000 Unterschriften von Bürgern sind inzwischen zusammengekommen, die Werkhausens Protest unterstützen und fordern, alle notwendigen Gelder bereit zu stellen, um dauerhaft die kassenärztliche Versorgungsstruktur der Hausarztpraxis aufrecht erhalten zu können.

Werkhausen plant nun eine erneute Informationsveranstaltung, bei der er über die aktuelle Entwicklung informieren will. Dieter Golombek aus Thomasberg, langjähriger Fachbereichsleiter der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), Gründer des Lokaljournalistenprogramms der BpB sowie Sprecher der Jury Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, hat in der Angelegenheit Ministerpräsident Jürgen Rüttgers angeschrieben.

Die Staatskanzlei möge doch einmal das "bayerische Modell" in Betracht ziehen. Eine Lösung im Hausärztestreit zu finden, sei zwar nicht originäre Aufgabe des Ministerpräsidenten, doch frage sich das "(Patienten)-Volk", warum der Landesvater gegen den drohenden Flächenbrand nichts unternehme.

RegelleistungsvolumenDas neue sogenannte Regelleistungsvolumen wird auf jede Arztpraxis pro Quartal individuell neu zugeschneidert. Es wird dem Arzt einen Monat im Voraus fürs folgende Quartal mitgeteilt. Die Summe setzt sich zusammen aus der Patientenzahl im Vergleichsquartal des Vorjahres, dem durchschnittlichen Wert der zu behandelnden Fälle und "Gewichtungsfaktor Alter".

Auf besagte Vereinbarung der Hausärzte in Bayern mit der bayerischen AOK verweist auch der Arzt im Ruhestand Gert D. Rust, Werkhausens Praxisvorgänger. Er appellierte schon im Januar an Werkhausens Patienten, ihre Krankenkassen aufzufordern, dem bayerischen Vorbild zu folgen. Man würde "nur ungerne zur AOK Bayern wechseln", schrieben daraufhin zahlreiche Königswinterer ihren jeweiligen Krankenkassen.

Die AOK Bayern zahlt Hausärzten für ihre Versicherten pro Quartal 85 Euro - Hausärzte im Siebengebirge erhalten hingegen nur eine Pauschale von 25 bis 28 Euro pro Patient und Quartal je nachdem, ob es sich um Einzel- oder Gemeinschaftspraxen handelt. Bei Mehrfachbehandlung wird kein Cent mehr gezahlt. Doch auch das bayerische Modell habe Tücken, warnt der Unkeler Fredy Bertram. Die Durchsetzung sei schwierig und juristisch bedenklich.

"Herr Rüttgers kann da nichts machen", ist Harald Bohnau pessimistisch. "Ich glaube, wenn das so weitergeht, wird das deutsche Gesundheitssystem völlig kaputtgehen, dann gibt es bald keine Facharztpraxen mehr."

Haut- und Augenärzte etwa erhielten nur 20 Euro pro Patient. Ohne die Privatpatienten "ginge es nicht, aber das ist schon länger so." Wie bundesweit, hielten am Mittwoch auch im Siebengebirge Orthopäden und Unfallchirurgen aus Protest gegen die Reform ihre Praxen geschlossen.

"Bayerisches Modell"Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) in den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg haben eigene Verträge mit den Hausärzten abgeschlossen. Sie zahlen ihnen 85 Euro Quartalspauschale pro AOK-Patient. In der Region zahlt die Kassenärztliche Vereinigung Nord-Rhein den Hausärzten pro Patient 25 Euro im Quartal, Fachärzten etwa 20 Euro.

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