Ein Experiment nach Noten

Bad Honnefer lassen sich zum Singen mit Profis animieren und sind am 29. November im Radio zu hören

  In mehreren Kreisen  saßen die Profisänger im Kursaal.

In mehreren Kreisen saßen die Profisänger im Kursaal.

Foto: Holger Handt

Bad Honnef. "Aaaah, aaaah, hey, hey, hey." Und: "Tsch, tsch, tsch, tsch?" Rauscht durch den Kursaal ein Schwarm Tauben? Jedenfalls klingt es so. In Wirklichkeit sind es anschwellende und abebbende Atemübungen. "Es kann nichts schief gehen!" Der Mann mit dem langen Bart und der roten Brille beruhigt.

Er steht in der Mitte in einem Mikrofonwald und neben einer überdimensionalen Trommel. Um ihn herum sitzen in Kreisen rund 300 Sänger. Profis und Amateure. "Wenn ich die Hand erhebe und vier Finger ausstrecke, dann sind Sie gemeint." Rupert Huber blickt auf die äußeren Menschen-Ringe. Das sind die Honnefer. Sie sind der Einladung des WDR-Rundfunkchores gefolgt: "Sing mit!"

Und Chefdirigent Rupert Huber will mit seinen 48 Chorsängern und allen Bürgern der Stadt, die Lust zum Singen haben, innerhalb von nur einer Stunde ein Stück einstudieren und es bereits nach fünf Minuten Pause aufnehmen. Der 56-jährige Österreicher hat es nach dem Gedicht "In einem Haus" von Jesse Thoor komponiert. Eigens zu dem Zweck, Laien mit geschultem Gesangspersonal in eine Klangwelt zu versetzen. Und bald können sich alle sogar im Radio hören.

Hörgenuss Der Mitschnitt wird am Sonntag, 29. November, 22 Uhr auf WDR 3 gesendet. Podcast unter www.wdr-orchester.de"Und intensiver", ruft Rupert Huber. Ein Kreis nach dem anderen stimmt in den Text ein. "In einem Haus, auf feinem Tannenreiser, sitzen ein Bettelmann und ein Kaiser. Beide summen und lachen und trinken und reden laut und leise und winken. Ein volles Jahr rollt über das Dach." Der Chorchef gibt den Ton an. "Wir singen alle vier Zeilen!" Aufmerksamkeit ist erforderlich.

Sämtliche Augen hängen an den Händen des Dirigenten, schauen zwischendurch aufs Noten- und Textblatt. Als die Sopranstimmen das Wörtchen "laut" ganz laut und hoch auf den Lippen haben, müssen alle anderen abrupt schweigen. Auch das Summen der Bässe wird schlagartig eingestellt.

"Laut", jauchzen die Sopranistinnen. "Und leise", flüstern sie förmlich. "Ach, ich muss mich entschuldigen, ich habe etwas vergessen, aber Sie haben richtig gesungen", sagt Huber, der einst das Mozarteum Salzburg mit dem Dirigier- und Kompositionsdiplom verließ. Er lenkte verschiedene Rundfunkchöre, den Wiener Staatsopernchor und war Chordirektor der Salzburger Festspiele. Und nun Bad Honnef.

Allein von der Atmosphäre des Kursaals ist er angetan. "Das hat Stil", sagt er, "durch die hohen Fenster ist die Natur im Park zu sehen." Solch feine Bedingungen findet er nicht immer vor, wenn er sich mit seinem Chor zum Mitsingen unters Volk mischt. Freilich, auch hier sind es vorwiegend die älteren Jahrgänge, die der Einladung gefolgt sind.

Viele Mitglieder verschiedener Chöre, aber auch Leute, die einfach nur Freude an der Musik haben, sind erschienen. "Wo sind die Menschen zwischen 15 und 40? Aber da können wir die Welt nicht ändern", meint der Chorleiter. "Aber es sind genug Leute da. Und sie lassen sich ein auf dieses Experiment. Sie geben ihr Bestes. Mehr kann man nicht erwarten.

Es bereitet großen Spaß." Dem möchte Arndt Schumacher nur beipflichten. Der Bass: "Es ist nett, in die Gesichter unserer Gäste zu sehen, sie strahlen." Eine besondere Sitzordnung fördert das: Die Profis sitzen wie im Zug und "kreisen" wie die Planeten um die Sonne und haben dadurch Blickkontakt zur Mitte und nach außen ins Publikum gleichermaßen.

Die Laienschar schaut frontal auf den Dirigenten und die WDR-Sänger. Altistin Elisabeth Graf aus dem äußeren Profi-Ring erhebt sich zwischendurch und macht mit einigen Armbewegungen den vor ihr sitzenden Honnefern noch etwas Druck. "Laut", singen sie. Laut. "Es ist eine spannende Sache. Wir haben den direkten Kontakt zu unserem mitmachenden Publikum", sagt Graf.

"Ich bin ja kein großer Sänger. Aber ich bin begeistert", so Alwine Sternke, die ihren Mann Kurt begleitet, der sich mit etlichen Kollegen vom MGV Liederkranz eingereiht hat. Vorsitzender Claus Scheel sagt: "Diese Atemtechnik müssten wir mal unserem Chorleiter vorschlagen." Rolf Beitzel, der Leiter der städtischen Musikschule, singt mit. "Das sind Strukturen, die uns nicht ganz geläufig sind. Es ist eine ganz andere Art von Chorarbeit. Und die Leute sind offen und begeistert", freut er sich über den Zuspruch.

Nur nach dem Konzert gibt's missliche Töne. Während die WDR-Sänger im Saal beschäftigt waren, durchstöberten Diebe hinter der Bühne Taschen der Künstler und ließen Schlüssel und Papiere mitgehen.

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