Doch kein Kuss

So gesehen

Soll ich ihn küssen? Es hätte nichts mit übersteigerter Tierliebe zu tun. Als Gärtchenbesitzerin in Waldnähe habe ich inzwischen ein eher distanziertes Verhältnis zu dem Viehzeug, mit dem ich mein Reich im Grünen teilen muss: mit Schnecken und Schlangen, Mäusen und Molchen, Hornissen und Maulwürfen, streunenden Katzen und desorientierten Kötern.

Dieses Mal ist es anders. Im Beet sitzt ein Frosch. Ich nehme freundlich Kontakt auf, denn ich bin noch mit klassischen Märchen großgeworden. "Was willst Du denn hier?", staune ich. "Hier gibt es doch gar keinen Brunnen und auch keine goldenen Kugeln."

Der Frosch staunt zurück. Er bleibt sitzen, er hört mir zu, er sieht mich an. Klarer Fall von Froschkönig. Aber an die Wand klatschen, das kann ich nicht. Soll ich ihn küssen? Ich glaube ja auch an die Magie von vierblättrigem Klee, umarme Schornsteinfeger und achte auf die Laufrichtung schwarzer Katzen.

Ich hole tief Luft. Unangenehm feuchte Küsse hat man schließlich schon in Jugendzeiten überstanden, auch ohne Aussicht auf verzauberte Königssöhne. Tapfer trete ich näher und erkenne: Es ist gar kein Frosch. Es ist eine Kröte!

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