Leben im Alter Diskussion über die Pflege im Gemeindehaus Bad Neuenahr

BAD NEUENAHR · Experten diskutieren in Bad Neuenahr über den Pflegenotstand. Dazu gehören der Sozialwissenschaftler Stefan Sell und der Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel, aber auch eine Altenpflegeschülerin.

 Zu wenig Zeit für individuelle Betreuung beklagen Altenpfleger in den Heimen. Dort gibt es 17.000 offene Stellen.

Zu wenig Zeit für individuelle Betreuung beklagen Altenpfleger in den Heimen. Dort gibt es 17.000 offene Stellen.

Foto: dpa

Stefan Sell, renommierter Volkswirt und Sozialwissenschaftler sowie Hochschulprofessor in Remagen, sprach von einer „nationalen Kraftanstrengung“, Erwin Rüddel, CDU-Bundestagsabgeordneter und dort Vorsitzender im Ausschuss für Gesundheit, von einer „gesellschaftspolitischen Gesamtaufgabe, bei der alle Kräfte gebündelt werden müssen“: Beim Thema Pflege wird gerne weit ausgeholt. „Stationäre Pflege zwischen guter Versorgung, Pflegenotstand und lukrativem Geschäft“ lautete der Titel einer Podiumsdiskussion, zu der der Katholische Verein für soziale Dienste, der Pflegestützpunkt Bad Neuenahr-Ahrweiler/Grafschaft und das Diakonische Werk Ahrweiler eingeladen hatten.

Voll besetzt war der Saal im Bad Neuenahrer Evangelischen Gemeindehaus, in dem sich unter der Moderation von Pfarrer Rüdiger Stiehl schnell eine muntere, wenn auch wenig mit positiven Perspektiven unterlegte Diskussion entwickelte. Neben Sell und Rüddel waren zudem der Pflegeschutzbund, der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz, der Verband katholischer Altenhilfe, der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste und auch eine Altenpflegeschülerin vertreten.

„Pflege geht uns alle an“, so der Tenor. Schlechte Versorgung, dramatische Personalnot und hohe Kosten in der Branche auch. „Eigentlich ist es eine schöne Aufgabe, andere Menschen zu versorgen“, meinte Rechtsanwältin Ulrike Kempchen vom Pflegeschutzbund. Und Hanno Heil vom Verband katholischer Altenhilfe hielt fest: „Es gibt wirklich gute Pflegeheime.“ Allerdings: In den Medien landauf, landab ist eher von den weniger guten Heimen die Rede. Altenpflegerin Anja Dreßen: „Es ist kein Personal da, es herrscht in der Pflege permanente Zeitnot, es gibt kaum Wertschätzung für den Beruf, man kann sich den alten Menschen kaum widmen. Vieles kommt zu kurz.“

„Das System läuft zunehmend heiß“, befand Stefan Sell, der auf skandinavische Modelle verwies, wo die stationäre Pflege in den Händen der Kommunen liegt. Allerdings werde dort im Vergleich zu Deutschland auch das Dreifache für Pflege ausgegeben. Pflegende Angehörige müssten noch viel besser unterstützt werden. Denn: „So viele Betten wie benötigt, geschweige denn Personal, können in der stationären Pflege gar nicht dargestellt werden.“

Politiker Rüddel fordert eine Ausbildungsoffensive

„Wir brauchen einen bunten Strauß an Akteuren“, so Erwin Rüddel. Durch bessere Bezahlung könne mehr Personal rekrutiert werden. Auch „digitale Assistenten“ würden in Zukunft hilfreich sein und den Pflegern mehr Raum für individuelle Betreuung geben. Durch die Digitalisierung werde der Pflegeberuf einfacher. Schnell fuhr Stefan Sell dazwischen: „Sie können doch Pflege nicht wie eine Autofabrik organisieren.“ Auf Rüddel hinterließ das wenig Eindruck. Er mahnte eine Ausbildungsoffensive an. Fakt ist: Derzeit können 17 000 offene Stellen in der stationären Pflege nicht besetzt werden. Tatsächlich benötigt werden nach Auskunft von Gesundheitsminister Jens Spahn bis zu 50 000 zusätzliche Kräfte.

„Menschen müssen motiviert werden, diesen schönen Beruf zu ergreifen“, so der Bundestagsabgeordnete. Problem: Kaum einer will. Migranten anzuwerben, sei auch nicht die Lösung, erklärte Hanno Heil vom Verband katholischer Altenhilfe: „Wir müssen hier in Deutschland qualifizieren.“

Wenig gesagt wurde zu den hohen Kosten, die in der Regel Angehörige für stationär betreute Pflegebedürftige aufbringen müssen. Harald Monschau vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste räumte lediglich ein: „Ja, das ist für viele eine Hürde.“ Sell warnte indes vor gewinnabhängigen und Rendite ausgerichteten Unternehmen, die Pflegedienstleistungen in Heimen anbieten.

Von einem „Systemwechsel“ wollte Rüddel nichts wissen. Wohl aber von einem „Neustart“. Die Pflege in die Obhut der Kommunen zu geben – wie beispielsweise in Dänemark – komme für ihn nicht infrage, unterstrich er. Mit einer gewissen Ratlosigkeit endete die Diskussionsrunde. Pfarrer Rüdiger Stiehl: „Lösungen gibt es oft nicht so schnell, wie man sich das wünscht.“

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