"Die Steine vor der Kirche wurden nie geklaut"

Zahllose Häuser in Rheinbach wurden im Krieg zerstört - Menschen mussten sich aus den Schuttmassen befreien

  Der Schutt  vom zerbombten Vinzenz-Pallotti-Kolleg wurde nach dem Abzug der Amerikaner von den Bürgern schnellstmöglich beseitigt. Er wurde mittels Loren auf den Schienen in den hintersten Teil des Grundstücks verbracht. Repros: Henry

Der Schutt vom zerbombten Vinzenz-Pallotti-Kolleg wurde nach dem Abzug der Amerikaner von den Bürgern schnellstmöglich beseitigt. Er wurde mittels Loren auf den Schienen in den hintersten Teil des Grundstücks verbracht. Repros: Henry

Rheinbach. Heute ist Rheinbach mit seinen rund 26 000 Einwohnern eine "Perle des Vorgebirges". Verkehrsgünstig an der A 61 gelegen, bietet die Stadt einen ungemeinen Charme zwischen moderner Wissenschaft und Industrie und mittelalterlicher Ortsgestaltung.

Vieles aus der Zeit des 14. und 15. Jahrhunderts ist in der Stadt, die nicht zuletzt durch ihr Glasmuseum berühmt geworden ist, erhalten geblieben, doch vieles musste wieder aufgebaut werden. Noch erinnern sich die Menschen an die Tage vor 60 Jahren, als in den ersten Monaten des Jahres 1945 Bombenteppiche auf die Stadt niederprasselten und hunderte Bürger in den Tod gerissen wurden.

Als stumme Zeugen des namenlosen Leides blieben zerstörte Häuser und Trümmerreste zurück. Karl-Heinz Limbach ist es zu verdanken, dass der Nachwelt die fotografischen Erinnerungen nicht verloren gingen. Trotz des Ablichtungsverbotes bei Höchststrafe bannte er die Zeugen seiner Gegenwart auf Papier und stellte später weitere Bilder zu einem umfangreichen Archiv zusammen. Die Erinnerungen von Zeitzeugen an den "Schwarzen Tag von Rheinbach", den 29. Januar, geben ein weiteres beredtes Zeugnis von den Schrecken der Zeit ab.

Gertrud Limbach hat die Zeit der Zerstörung als 17-Jährige erlebt: "Am Lindenplatz fing die Verwüstung an. Alles lag in Schutt und Asche. Eine Frau kam uns entgegen gelaufen. Sie schrie: Ich suche meinen Mann, ich suche meinen Mann. Der arbeitete bei der Stadtverwaltung und ging zum Mittagessen in die Wirtschaft Althausen. Die stand nicht mehr. Viele Menschen versuchten, Menschen aus den Trümmern zu bergen, in den Luftschutzkeller zu kommen. Es gelang nicht. Der Mann war tot."

Josef Nawrath war als 15-Jähriger als Hilfssanitäter von der deutschen Wehrmacht eingeteilt. Er erinnerte sich: "An der Grabenstraße stand ein einzelnes Haus, da wohnte eine furchtbar dicke Frau drin. Sie war verschüttet, guckte aber mit dem Oberkörper aus den Schuttmassen heraus. Wir konnten sie nicht herausziehen. Sie erstickte uns unter den Händen."

Trude Hüllen erzählte ihre fürchterlichen Eindrücke als 15-Jährige im Luftschutzkeller: "Wir eilten in den Luftschutzkeller der Familie Pfahl. Um Gottes Willen, kommt schnell runter, wir sitzen schon alle im Keller, rief Frau Pfahl. In dem Moment ging der Bombenteppich nieder. Ich wurde in den Keller hinein gedrückt und wieder hoch geworfen. Es entstand eine furchtbare Rauchwolke. Mein Großvater schrie: ''Wann hast du zuletzt gebeichtet?'' In solch einem Moment lernt man das Beten."

Silvia Pelzer wurde in der Hauptstraße 31 verschüttet, doch sie überlebte: "Es war ein Geräusch, wie wenn ein D-Zug in den Bahnhof einläuft. Dann kamen die Bomben. Ich lief mit meiner Schwester ins Treppenhaus, und die Decke kam herunter. Ich saß bis zum Hals im Schutt, meine Schwester hing über mir in den Holzbalken. Dann kamen Helfer, die aber vor den Bombern davonliefen. Die Mauer über mir machte einen Knick, ich dachte, jetzt bin ich weg. Doch sie hielt. Später bin ich ins Lazarett gekommen, wo heute das Vinzenz-Pallotti-Kolleg ist."

Daran erinnert sich wiederum der 15-jährige Hilfssanitäter. "Kennst du mich nicht mehr, Jüppche?" habe sie gefragt, schreibt er im Interview der Schüler des Vinzenz-Pallotti-Kollegs 1985. "Doch ihr Gesicht war so aufgedunsen, dass sie nicht zu erkennen war", berichtete er. Sie habe dann auch nur nach Freunden und Verwandten gefragt.

Dann kamen die Amerikaner, und das große Aufräumen begann. "Die Männer mussten von morgens bis abends die Trümmer von den Straßen wegräumen, damit die GIs schnell durch die Stadt kamen", berichtet Gertrud Limbach. Ansonsten seien die Amerikaner mit schwerem Gerät einfach über alles drüber gerollt, was nicht aus dem Weg ging.

Und die Rheinbacher machten sich ans Aufräumen. Da ist Gertrud Limbach einer besonders im Gedächtnis geblieben: Kaplan Rosendahl. "Er kam zu Pastor Jakob Bertram aus der Kriegsgefangenschaft. Die Sankt-Martin-Kirche war Anfang März zerbombt worden.

Der Kaplan liebte die Kirche. In jeder freien Minute ging er vor das Gotteshaus Steine kloppen." Die hätten sich im Laufe der Zeit richtig zu einem Berg angehäuft, weiß Gertrud Limbach. Und jeder habe in der Zeit Steine gebraucht. "Doch die von der Kirche", ist sie stolz, "wurden nie geklaut."

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