Die Deutschen durften sie nicht mal anlachen

Die Gäste aus Polen diskutierten mit Bonner Schülern - Zwölf Stunden am Tag, sieben Tage am Stück mussten Polen im Keller mit Amoniak arbeiten

  Ungläubig  blicken die Schüler auf die Fotos von Kazimierz Sobolewski, auf denen nichts vom harten Alltag der Zwangsarbeiter zu erkennen ist.

Ungläubig blicken die Schüler auf die Fotos von Kazimierz Sobolewski, auf denen nichts vom harten Alltag der Zwangsarbeiter zu erkennen ist.

Foto: Max Malsch

Beuel. Das war nicht ganz das, was die Beueler Gesamtschüler erwartet hatten. "Ich habe gedacht, dass sie viel verbitterter sind", sagt ein Jugendlicher. "Ja", pflichtet ihm die Mitschülerin bei, "eine von ihnen hat mich hinterher geküsst und gesagt, dass alle Kinder süß seien, egal aus welchem Land." Sie sind erstaunt. Schließlich wissen sie, dass die vier alten Damen und Herren in ihrer Jugend als Zwangsarbeiter in Bonn waren. An diesem Montagmorgen haben sich die polnischen Gäste, die momentan in Bonn zu Besuch sind, auf mehrere Schulen im Stadtgebiet aufgeteilt, um mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Auch im Kardinal-Frings-Gymnasium ist eine Gruppe.

Die Zeit ist kurz. Eine Stunde lang können die Neunt- und Elftklässler der Beueler Gesamtschule Fragen stellen: Wie die Polen Anfang der 40er Jahre nach Bonn gekommen sind, wie die Lebens- und Arbeitsbedingungen hier waren, wie sie die Deutschen sahen und sehen. Und die vier polnischen Gäste erzählen - mit freundlichen Gesichtern, lebhaften Gesten und immer wieder einem Lachen. "Ich habe in der Jutespinnerei gearbeitet und aus Papier und Jute Garn hergestellt", erzählt Krystyna Rozanska.

Zofia Stasiak wird genauer: "Nach einem Jahr wurde ich in einen Keller versetzt und musste dort mit Amoniak arbeiten: zwölf Stunden am Tag, sieben Tage am Stück, der achte war frei." Die Deutschen hingegen waren wegen des gefährlichen Stoffs nur alle paar Tage drei, vier Stunden im Einsatz.

"Wir haben 16 Mark im Monat verdient. Ein Brot kostete damals zehn Mark", berichtet Kasimierz Sobolewski. Mit den Deutschen hätten sie wenig Kontakt gehabt, weil sie in Barracken untergebracht waren. Außerdem: "Sie durften nicht nett zu uns sein. Sogar uns anzulachen war ihnen verboten", nimmt Sobolewski die Einwohner in Schutz.

Als die Deutschen in ihr Heimatdorf kamen und sie abholten, hätte sie sich sogar gefreut, erinnert sich Klara Biarda. "Ich dachte, wie schön, dass ich arbeiten und Geld verdienen kann." Das böse Erwachen kam schnell. In Güterwaggons wurden die damals 13- bis 18-jährigen Polen nach Bonn transportiert. Sechs Tage waren sie unterwegs, bekamen nichts zu essen, nichts zu trinken.

Am Ende ist noch Fotostunde. Kazimierz Sobolewski breitet die Aufnahmen, die er aus diesen Jahren hat, auf einem Tisch aus. Auf den alten, oft vergilbten Schwarz-Weiß-Fotos sind junge, fröhliche Menschen im Sonntagsstaat zu sehen. Nie ist das "P", das die polnischen Zwangsarbeiter als Erkennungszeichen tragen mussten, zu erkennen.

Ein Foto zeigt drei der Polen auf einem Esel am Rhein, hinter ihnen erhebt sich der Drachenfels: eine Idylle. "Das kann doch nicht er gewesen sein", meint eine Schülerin ungläubig und deutet in Richtung Sobolewski. "Doch, doch", erklärt Erhard Stang von der Bonner Geschichtswerkstatt. "Solche Aufnahmen sind an ihren freien Tagen entstanden. Da haben sie Ausflüge in die Umgebung gemacht und sich so schön wie möglich gekleidet." Es war wohl ein polnisch stämmiger Fotograf, der hier in Bonn lebte und die Zwangsarbeiter ab und zu aufgenommen hat, damit sie Bilder von sich an ihre Verwandten daheim schicken konnten. Jeder wollte den Angehörigen vermitteln, dass es ihm gut gehe. "Die schönsten ihrer Kleidungsstücke sieht man auf den Fotos immer wieder. Sie haben sie ausgetauscht, damit jeder auf der Aufnahme gut aussah", weiß Stang.

Doch in den Tagen mit den polnischen Gästen hat er auch etwas von den Verletzungen mitbekommen, die sie erfahren haben. "Eine Dame hat erzählt, dass sie seitdem immer wieder von der Jutespinnerei in Beuel geträumt hat, und dass sie hofft, dass diese Albträume mit ihrem Besuch hier ein Ende finden."

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