"Die Bauern sterben sanft"

Das Super-Rüben-Jahr beschert den Höfen in der Region noch lange keine Super-Einnahmen - Dazu kommt die Angst vor dem Ruin nach der beabsichtigten Änderung der EU-Zuckermarktordnung

  Super-Rüben-Jahr:  Ein Landwirt zeigt frische große Zuckerrüben.

Super-Rüben-Jahr: Ein Landwirt zeigt frische große Zuckerrüben.

Foto: dpa

Grafschaft. 2004 war "Rübenwetter". Regen und Sonne haben die Knollen sprießen lassen, wo sie noch auf dem Feld stehen, speichern sie weiter Zucker. Den Termin für die Rodung dürfen die Bauern allerdings nicht frei bestimmen. Die Zuckerfabrik in Euskirchen und die Meckenheimer Krautfabrik setzen die Termine fest. Und so rollen seit Wochen hoch beladene Wagen über die Straßen. Die Rübenkampagne ist in vollem Gang.

Die Qualität ist gut. Denn die Lehmböden auf der Grafschaft hatten im trockenen Frühjahr ausreichend Startfeuchtigkeit. Glück haben die Landwirte auch mit der Rodung, denn die Felder sind trocken genug, um die Rüben mit wenig Erde auszumachen.

Den Erlös für ihr Produkt können die Landwirte allerdings ebenso wenig selbst bestimmen wie den Zeitpunkt der Rodung. Die Preise sind in der Zuckermarktordnung der EU festgelegt. Und die Bauern müssen sich bei der Abgabe an bestimmte Quoten halten. So beschert das Super-Rüben-Jahr den Landwirten noch lange keine Super-Einnahmen.

Als "A-Rüben" wird die Menge bezeichnet, die für gutes Geld abgegeben werden kann. War die Ernte besser, können für 30 Prozent weniger Erlös noch einmal etwa 30 Prozent als B-Rüben abgesetzt werden. Hat der Acker darüber hinaus Früchte gebracht, kommen diese als C-Rüben in die Verarbeitung, werden preislich nicht gestützt, sondern müssen mit den Weltmarktpreisen für Zucker konkurrieren. Für deutsche Bauern ist das kein Gewinn.

So erhielt Berthold Schmitt aus Oeverich im vergangenen Jahr für seine C-Rüben 50 Cent pro Doppelzentner. "Das war gerade so viel wie das Spritgeld für einen Zug zur Fabrik", sagt er. Schmitt sieht die Sache allerdings gelassen: "Man pflanzt ja nicht automatisch so viel, dass man C-Rüben bekommt. Wenn einem der liebe Gott durch das schöne Wetter solch eine Rübenernte beschert, betrachtet man das als Beigabe."

Schmitt geht davon aus, dass die Zuckermarktverordnung der EU auch im kommenden Jahr noch gültig und damit sein Einkommen im letzten Jahr vor Eintritt in den Ruhestand gesichert ist. Was danach kommt, sieht er weniger rosig. Schon im kommenden Jahr wollte die EU den Rübenpreis um 25 Prozent senken und im Jahr danach noch einmal um 12,5 Prozent: 37,5 Prozent in zwei Jahren, berichtet Schmitt. Offenbar konnte die Sache nicht so schnell realisiert werden. So kann er 2005 noch auf die alten Preise hoffen.

"Rüben sind das einzige sichere Standbein, das Ackerbaubetriebe noch haben", erklärt der Vorsitzende des Bauern- und Winzerverbandes Kreis Ahrweiler, Hans Boes. "Mit der Zuckermarktreform verlieren sie die Sicherheit." Wann die Neuordnung kommt, will Boes nicht vorhersagen. "Der Stichtag ist ein reines Politikum. Man wird es so organisieren, dass es keiner Wahl schadet", denkt er. Für die Reform werde man einen wahltaktisch günstigen Tag aussuchen. "Wenn die Marktordnung fällt, ist der Zuckerpreis frei. Den tiefen Eingriff merkt man erst, wenn es zu spät ist. Die Bauern sterben ganz sanft", sagt Boes.

"Die Marktordnung wurde geschaffen, um in Europa eine Eigenversorgung mit Zucker sicherzustellen", erklärt Landwirt Stefan Wuzél aus Vettelhoven. Seit zehn Jahren sei der Preis für die Verbraucher gleich geblieben. Betrachte man die Inflationsrate, sei der Zucker in der Zeit ein Drittel billiger geworden. "Ein noch geringerer Zuckerpreis fällt für die Masse der Verbraucher nicht ins Gewicht", denkt der Landwirt. Allenfalls einige Großbetriebe profitierten davon.

Dagegen sieht auch Wuzél Probleme für die Bauern bei einem Sinken des Preises. "Der ländliche Raum wird weiter geschädigt", sagt er. "Wenn der Zuckerpreis ganz freigegeben wird, kann in Deutschland keiner mehr mithalten." Die Produktionskosten hierzulande seien hoch. Die Rübe verlange die meiste Arbeit und das meiste Investitionskapital. Bei einer Freigabe des Zuckermarkts sei für die Höfe ein "dramatischen Einnahmeeinbruch" zu erwarten.

Wuzél beschreibt die Praxis in Brasilien. Das Land produziere die dreifache Menge des Eigenbedarfs an Zucker und verarbeite den Überschuss zu Bioethanol. Sein Vorschlag für Deutschland: aus den C-Rüben Treibstoff machen.

Mit ihrer Meinung stehen die Grafschafter Bauern nicht allein. Bereits Mitte September haben Landwirte und Mitarbeiter von Zuckerfabriken in Euskirchen gegen die geplante Zuckermarktreform demonstriert. Sie sehen ihre Existenz bedroht, wenn die EU den Zuckerpreis senkt und den Markt international öffnet. Viele Höfe seien von der Rübe abhängig und rechneten mit dem Verlust der Hälfte ihres Gewinns. "Sind die Rüben raus, ist es für den Hof bald aus", war auf einem der Schilder zu lesen.

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