Baustelle Umweltzone

Sieben Monate nach Einführung tragen 90 Prozent der Fahrzeuge in Köln Feinstaubplakette

Baustelle Umweltzone
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Köln. Langsam gleitet ein Fünfer BMW mit Kölner Kennzeichen in die Rheingasse in der Altstadt. Vor dem Verkehrsüberwacher André van Birgelen hält der Fahrer an, fragt: "Wie sieht es aus, kann ich bei Ihnen noch eine Plakette bekommen?"

Mit seiner unbeklebten Windschutzscheibe ist sein Wagen ein seltener Anblick in der Umweltzone - dem Fahrer drohen 40 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg. Der Verkehrsüberwacher zieht einen grünen Aufkleber aus seiner Bauchtasche: "Macht fünf Euro." Glück gehabt und willkommen im Club der Feinstaubplakettenbesitzer. Sieben Monate nach Einführung der Umweltzone haben rund 420 000 Kölner Fahrzeuge das Siegel.

Das sind 90 Prozent der hier angemeldeten Autos. Und an den allermeisten (80 Prozent) klebt es in grün. In bislang 13 Städten - darunter Köln, Berlin, Dortmund, Hannover, Stuttgart - sollen Verkehrsbeschränkungen und Fahrverbote die Luftqualität in Bezug auf die Stickstoffdioxid- und Feinstaubkonzentration verbessern.

Am 1. Oktober kommen weitere Umweltzonen in Frankfurt am Main, München und im Ruhrgebiet dazu. Mehr als 20 deutsche Städte planen diesen Schritt. Und nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs dürften weitere nachziehen.

Die Luxemburger Richter haben Bürgern das Recht eingeräumt, von ihrer Stadt Maßnahmen einzuklagen - zum Beispiel, wenn in Ballungsgebieten Grenzwerte überschritten werden. Mit seiner dicken Talkessel-Luft scheitert Köln regelmäßig an den in einer EU-Richtlinie festgesetzten Vorgaben. Bei Feinstaub etwa liegt die Grenze bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Tagesdurchschnitt.

Dieser Wert wurde 2007 an der Messstation am Clevischen Ring im Kölner Stadtteil Mülheim an 63 Tagen überschritten. 35 Tage erlaubt die EU. Eine alarmierende Zahl. Wann immer die winzigen, höchstens zehn Mikrometer kleinen Schwebepartikel in den Körper gelangen, können sie Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorrufen.

"Meine Bronchitis ist nirgendwo schlimmer als in Köln", sagt ein 30-jähriger Kameramann. Darüber hinaus soll Feinstaub Lungenkrebs begünstigen. Rund 65 000 Todesfälle in Deutschland führt die EU-Kommission auf Feinstaub zurück. Experten streiten, inwieweit Umweltzonen die Gesundheitsrisiken reduzieren.

Bislang haben sich die Kölner Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Werte nicht nennenswert verbessert. Ein Zwischenfazit hält Wilhelm Deitermann, Sprecher des NRW-Umweltministeriums, für verfrüht: "Um die Wirksamkeit von Umweltzonen nachweisen zu können, müssen meteorologische Einflüsse ausgeschlossen werden."

Das sei frühestens nach einem Jahr möglich. Erst dann zeigt sich, ob eine Umweltzone die Erwartungen erfüllt. Feinstaub hat viele Quellen: Neben dem Straßenverkehr produzieren ihn Müllverbrennungsanlagen, Fabriken, aber auch Drucker-Toner, Ozeangischt und Reifenabrieb.

Und die Schiffe auf dem Rhein, auch abends, wenn die Binnenschiffer ihre Dieselaggregate laufen lassen, um Nudeln zu kochen oder fernzusehen. Langfristig wollen die Kölner ausreichend Stromanschlüsse an den Schiffsanlegern einrichten, um die Dieselaggregate zu ersetzen, so Rainer Liebmann vom Umweltamt der Stadt.

Kritiker bemängeln, dass die derzeit getroffenen Maßnahmen das Feinstaub-Problem nicht lösen. Durch den Schiffsverkehr oder durch Reifenabrieb und Aufwirbelung verursachte Partikel könne man auch in der Umweltzone nur minimal reduzieren.

Professor H. Erich Wichmann vom Helmholtz Zentrum München entgegnet, dass Fahrverbote vor allem darauf abzielen, die "Hauptübeltäter" aus dem Verkehr zu ziehen: "Und das sind Diesel-Pkw und Diesel-Lkw ohne Rußpartikelfilter, je älter desto problematischer."

Ohne den Filter am Auspuff bekommen "alte Stinker" keine Feinstaubplakette. Ihr Schleichweg in die Umweltzone ist meistens eine Ausnahmegenehmigung. 4 315 Anträge hat die Stadt Köln bis Juni 2008 bewilligt. Oft kommen die Anträge von Handwerkermeistern mit Kundenstamm in der Innenstadt.

"Für die Ausnahmegenehmigung müssen sie nachweisen, eine lebensnotwendige Dienstleistung zu erbringen. Was einem Dachdecker leichter fällt als einem Raumausstatter", erzählt Ulrich Fesser von der Handwerkskammer Köln. Manche Mitgliedsbetriebe würden früher als geplant in neue Firmenfahrzeuge investieren.

"Für uns ist da nichts zu machen", sagt Speditionsfahrer Horst Gerards, der auf einem Hof in der Kölner Altstadt zwischen zwei feuerwehrroten, mit Möbeln beladenen Siebeneinhalbtonnern rangiert. Der braun gebrannte Mann macht sich Sorgen um die Zukunft: "Wenn unsere Ausnahmegenehmigung ausläuft, dann können wir dicht machen."

Umsatzeinbußen im Einzelhandel befürchtet die Kölner FDP. Dass in den Parkhäusern Plätze frei bleiben, bestätigt Uwe Klein, Geschäftsführer des Einzelverbandes Köln. Vor allem samstags, "wenn traditionell 60 bis 70 Prozent der Menschen, die in die Fußgängerzone kommen, aus dem Umland stammen: aus Brühl, Kerpen, Bergisch-Gladbach."

Das könnte sich künftig ändern. "Der eine oder andere dieser Kunden macht sicherlich einen Bogen um die Umweltzone", vermutet Klein. Eine gute Informationspolitik sei in solchen Fällen wichtig. Umweltzonen erfordern offenbar Geduld. Zunächst entstehen sie in einer "milden Form".

Mit Fahrverboten, die nur einen kleinen Anteil des Straßenverkehrs ausschließen. Wilhelm Deitermann vom Landesumweltministerium ist überzeugt: Je größer das Areal, je schärfer die Anforderungen und je konsequenter sie umgesetzt werden, umso effektiver könne man Feinstaub und Stickstoffdioxid reduzieren.

Kölns Umweltdezernentin Marlis Bredehorst kündigt weitere Schritte an - für Dieselfahrzeuge, an deren Windschutzscheibe ein roter Aufkleber sitzt. Diese Wagen sollen Bredehorst zufolge bald aus der Umweltzone verbannt werden: "Für diese soll ab 2010 ebenfalls Fahrverbot gelten." Ausschlaggebend für die Erteilung der Feinstaubplaketten sind die Euro-Abgasnormen.

Sie sind an den letzten beiden Ziffern der Schlüsselnummer 1 in den alten Fahrzeugscheinen erkennbar. Im neuen Zulassungsdokument sind es die letzten beiden Ziffern unter 14.1.

Benziner von Euro 1 aufwärts bekommen in der Regel die grüne Plakette (Schadstoffgruppe 4). Ebenso Diesel der Stufen Euro 3 mit Partikelfilter und Diesel mit Euro 4.

Die gelbe Plakette (Schadstoffgruppe 3) gibt es für Diesel mit Euro 2 plus Partikelfilter und für Diesel mit Euro 3. Diesel mit Euro 2 sowie Euro 1 mit Partikelfilter bekommen die rote Plakette (Schadstoffgruppe 1). Keine Feinstaubplakette erhalten Benziner ohne geregelten Katalysator und Diesel Euro 1 ohne Partikelfilter.

Feinstaubplaketten sind unter anderem beim Straßenverkehrsamt, TÜV, Dekra, TÜV-berechtigten Werkstätten und einigen Tankstellen erhältlich.

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