Eindrücke und Beobachtungen So lebt es sich in der Corona-Krise im Kreis Ahrweiler

Kreis Ahrweiler · Beim Spaziergang an der Ahr blicken viel mehr fremde Menschen als sonst einander freundlich an. Sie gönnen einem Pärchen am Ufergrün seine freiwillige Zweisamkeit – Eindrücke vom Leben in der Corona-Krise.

 Freiwillige Zweisamkeit am Ahrufer: Radfahrer machen einfach nur Pause.

Freiwillige Zweisamkeit am Ahrufer: Radfahrer machen einfach nur Pause.

Foto: Martin Gausmann

Passend zu den Ausstellungen mit den Künstlern Salvator Dali und Jonas Burgert hatte das Arp Museum Bahnhof Rolandseck sein Themenjahr 2020 „Total surreal“ genannt. Nun darf wegen Maßnahmen gegen das Coronavirus niemand ins Museum. Unfreiwillig bezeichnet „total surreal“ zudem die Krisensituation, wie sie von den Menschen wahrgenommen wird.

Das kulturelle Leben liegt brach. Bildungseinrichtungen sind geschlossen. Die Wirtschaft geht in die Knie. Massive Einschränkungen erleidet das kirchliche Leben. „Wir hocken alle zu Hause und schmoren im eigenen Saft“, bezeichnet die Rentnerin aus Bad Neuenahr die Lage. „Seltsam auch dieses Zusammenrücken auf Abstand.“ Unsicherheit und Sorge greifen um sich.

Aber rasch wurden auch konkrete Angebote gestartet, um älteren Bürgern zu helfen, etwa von Firmen und Lebensmittelhändlern, dem DRK und den Kommunen des Kreises Ahrweiler gemeinsam mit der Kreisverwaltung, die die Initiative „Jugend hilft“ initiierten.

Offenbar haben auch die Einwohner nach dem Schock den Schalter umgelegt, hin zu bewährten Strategien. Aktiv werden scheint ein beliebtes Mittel gegen das Gefühl der Hilflosigkeit zu sein. Erstaunlich, was allein in einer Straße in Sinzig nahe der Ahr gerade passiert. Ein junger Mann schippt Sand in die Schubkarre. „Wir wollen unsere Terrasse in Ordnung bringen“, erzählt er der neugierigen Nachbarin.

Überall gibt es derzeit eine „Heimatfront“

Zwei Häuser weiter hat sich ein Familienvater mit reichlich Baumaterial eingedeckt, „um endlich das Dach von der Garage, wo es immer reinregnet, neu zu machen“. Die Kinder packen mit an und die berufstätige, krisenbedingt aber arbeitsfreie Ehefrau, macht sich im Garten zu schaffen. Nebenan röhren Rasenmäher, kreischen Sägen, wird gehämmert. Die zu Hause Schulstoff büffelnden Grundschüler, kicken nachmittags in der Kälte, aber sonnenbeschienen im Hof.

Im Krieg gibt es neben der eigentlichen Front die Heimatfront, wo die Zivilbevölkerung in den Kampf miteinbezogen ist. Derzeit existiert all überall auf dieser Erde eine Heimatfront, die zur eigentlichen Front gegen den aktuellen Menschheitsfeind, die Krankheit Covid-19 geworden ist. In den Kliniken richtet man sich auf die unerbittliche Gegenwehr ein. Aber auch individuell im Kleinen, im Beleben der Kommunikation, in der Hinwendung zum Mitmenschen lässt sich der Kampf gestalten, den es auch gegen das eigene Durchdrehen zu führen gilt.

Dem Sinziger Sandschipper, der mit seiner Freundin am Wochenende einen Kuchen backen wollte, wurde das Paket Mehl aus dem Einkaufswagen geklaut. Aber sowie er dies erzählte, kam von der Nachbarin eine spontane Mehl-Offerte. Sie wiederum erhielt von einem Freund aus Bad Breisig ein emotionales Care-Paket, gefüllt mit materiell wertlosen, aber in ihren Augen wunderschönen Dingen.

Nach einem Telefonat stand es andern morgens vor ihrer Tür. Ihre Freundin aus Kripp berichtete, dass sie mit ihren Söhnen in der Ferne per Video Karten spielt und ihr die Enkelinnen Fotos von sich beim Gute-Laune-Tanz oder im frisch gehäkelten Outfit schicken.

Fürs obligatorische Händewaschen beherzigt eine Ahrtalerin neuerdings engagiert den Rat eines Pfarrers im Fernsehen, der dazu ein „Vater unser“ betet. Zugegeben, es gibt traurige Begegnungen, so, wenn die an Demenz erkrankte Bekannte beim Bäcker erst nach dem Namen der Grüßenden fragt und sich, bar jeden Gefahrenbewusstseins, freundlich nähern will.

Da muss über Hilfe nachgedacht werden. Ansonsten tut, ohne den Ernst der Pandemie zu leugnen, Freude im Hier und Jetzt gut. Es wird sichtbar, dass viele Menschen in der Lage sind, eigene Kraftreservoire anzuzapfen. Sie wollen ruhig Blut bewahren, so die privat erlebten Ankündigungen, sich „net jeck mache looße“, lecker kochen, demnächst Kartoffeln pflanzen, viel lesen, „alle anrufen, die ich mag“, „sich solange es noch erlaubt ist, in der Natur bewegen“.

Beim Spaziergang an der Ahr blicken viel mehr fremde Menschen einander freundlich an, als angstvoll wegzuschauen, gönnen dem Pärchen auf dem Ufergrün seine freiwillige Zweisamkeit. Eine geschätzt 80-jährige Seniorin geht vom Weg ab und pflückt sich ein Sträußchen Buschwindröschen. Und für einen achtsamen Beobachter wird das Mädchen sichtbar, das in der alten Frau „wohnt“.

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