"Kriegskinder erzählen" Ein Erinnerungsabend mit Zeitzeugen in Remagen

REMAGEN · Harald Schmitz-Hübsch, 1939 in Bonn geboren und in Meckenheim aufgewachsen, hat noch "eine blutrote Feuerwand, eines der größten Martinsfeuer, das bombardierte Köln", im Gedächtnis und sich selbst, Fähnchen schwenkend, am 20. April 1944, Führers Geburtstag: "All das triefende Rot der Fahnen aus den Fenstern, ich war verzaubert, das war ideologische Verführung pur".

 Kriegskinder mussten "funktionieren".

Kriegskinder mussten "funktionieren".

Foto: dpa

Die Zuhörer lauschten betroffen, als sieben Zeitzeugen aus Remagen, Bad Breisig und Bad Neuenahr im Remagener Katholischen Pfarrheim daran teilhaben ließen, was sie als "Kriegskind" erlebten. Der Erinnerungsabend "Kriegskinder erzählen" geriet "eindringlich und nachdenklich", ganz wie Christoph Hof, Pastoralreferent im Dekanat Remagen-Brohltal, gehofft hatte.

Seit Herbst 2012 begleiteten er und Mechthild Haase vom Caritas-Verband Ahrweiler einen Gesprächskreis, der sich nach Sabine Bodes Lesung aus ihrem Buch "Die vergessene Generation - Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen" über eine Fülle von Erinnerungen austauschte. "Früher sagte man, ?ach, die Kinder haben das alles nicht so mitgekriegt?", erklärte Haase. Doch das Erlebte prägte. "Es tut gut, sich das von der Seele zu reden; es kann aber auch interessant sein für andere und für die Familie", so Haase zu den Beweggründen.

Die Frauen und Männer hätten endlos reden können. Dass sie sich auf Weniges beschränkten, es thematisch gliederten und durch Musik auflockerten, half dem Publikum, den dichten Schilderungen zu folgen. Als Helene Pertz? Vater im Krieg und ihre Mutter krank war, kamen sie und die fünf Geschwister 1942 in verschiedene Waisenhäuser.

Das Neuwieder Heim wurde bombardiert. Alle flohen, allein die rachitische Sechsjährige blieb zurück, bis Pastor Fangmeier Helene unter brennenden Balken aus dem Bettchen hob und in Sicherheit brachte. Bis heute lässt sie die Erinnerung nicht los. Wolfgang Breith stellte den Steiff-Teddy seiner Tante Ruth vor, der ihn, seinen Bruder und die Oma 1946 bei der Vertreibung von Bad Warmbrunn/Riesengebirge begleitete.

Knapp zweijährig flüchtete Monika Hofmann mit Oma, Mutter und Bruder aus Breslau. Die Mutter nahm ein Stück Spitze vom Hochzeitskleid mit, wohl um an ihrer Würde festzuhalten in der neuen Heimat, wo man die Flüchtlinge abfällig "Polacken" nannte. 1948 erschien ein verlumpter Mann: Monikas Vater kehrte aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Im selben Jahr erfuhr Hubertus Kreickmann vom Tod seines Vaters. Ihm blieben nur drei Fotos.

Überhaupt die Väter. Sie fehlten, so wie sie ihre Lieben vermissten. Besorgt um seine Familie, schrieb Ruth Kilps Vater aus einem schottischen Gefangenenlager an seine Frau: "Die Angst schnürt mir die Kehle zu". Kehrten die Männer zurück, waren sie nicht mehr dieselben.

Schmitz-Hübschs Vater kam aus einem Asbeststeinbruch im Ural: barfuß, mit Glatze, Fleckfieber und Wasserbauch. "So lief er noch jahrelang durchs Dorf, seine Resozialisierung war schwierig". September 1945 kehrte Angelika Fuchs? Vater halb verhungert aus russischer Gefangenschaft heim. Die Kleine schrie beim Anblick des "Fremden".

Später besuchte sie ihn in der Nervenklinik: "Er hat den Krieg nicht verkraftet". Gleichwohl hat sie verstanden, dass "er eigentlich ein fröhlicher Mensch war". Versöhnliche Erinnerungen mildern erlittene Härten.

Ruth Kilp erzählte abschließend, wie sie "als zehnjähriges Zopfmädchen" mit einen G.I. Kirschen aus einen deutschen Stahlhelm aß: "Ich dachte, wir sind Überlebende und die Natur tut, was sie immer tut, so, die Kirschen reifen lassen im Juni."

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