Rathausverein Oberwinter Ausstellung über den ersten Arzt in Oberwinter

OBERWINTER · Es war Zeit zu "jeuscheln" im alten Rathaus Oberwinter. So wie einst die "Jeuschelbrüder" des Ortes an den Theken der Gasthäuser gerne über all das redeten, was die Welt und den Hafenort bewegte, so hatten die Besucher des Oberwinterer Rathauses am Wochenende vor allem ein Thema: den "Herrn Sanrat".

 Hans Metternich zeigt Jürgen Pföhler (r.) und Hans Atzler einen Untersuchungsspiegel.

Hans Metternich zeigt Jürgen Pföhler (r.) und Hans Atzler einen Untersuchungsspiegel.

Foto: Martin Gausmann

Viele ältere Einwohner kannten noch den Mann, zu dessen Ehren der Oberwinterer Rathausverein anlässlich des Sommerfests auch eine Ausstellung eröffnete: "Sanitätsrat Dr. Felix Wirtz - Der erste Arzt in Oberwinter".

"Er kam nach Oberwinter, als keiner kommen wollte", stellte ein Besucher fest. "Er war ein großer und schlagfertiger Mann und schrieb immer mit einem kleinen Kopierstift, weil er so sparsam war", erinnerte sich eine Oberwintererin. Dass er rau aber herzlich gewesen sei und zugleich mutig und kreativ, "und viel für die Leute hier getan hat", begeisterte Hans Atzler.

Der Jurist und Heimatforscher hat im Vorfeld der Ausstellung jahrzehntelang recherchiert und auch den dritten Band der Schriftenreihe "Oberwinterer Geschichte(n)" des Rathausvereins über Felix Wirtz verfasst, der ebenfalls am Wochenende vorgestellt wurde. "Seine Lebensleistung ist beeindruckend. Man kann nur staunen, wie ein einzelner Mensch ein solches Arbeitspensum über fast 60 Jahre bewältigt hat", sagte Atzler über Wirtz und erzählte zur Vernissage, zu der der Rathausvereinsvorsitzende Hans Metternich begrüßt hatte, auch einige Anekdoten von dem 1864 geborenen und seit 1892 in Oberwinter tätigen "Herrn Sanrat".

Etwa, dass Wirtz es überhaupt nicht gemocht habe, von Patienten auf der Straße angesprochen zu werden. Dann sei er dem Fragenden ins Wort gefallen und habe diesen gebeten, sich zwecks Untersuchung an Ort und Stelle die Hose auszuziehen, womit das Gespräch erst einmal beendet war und die "Behandlung", wenn denn wirklich notwendig, später in der Praxis weitergeführt wurde.

Als gebürtiger Lengsdorfer habe Wirtz die Sprache der Oberwinterer gesprochen, sagte Atzler. Sie hätten gewusst, was sie an ihm gehabt hätten, auch wenn er kaum jemals jemanden vor einem medizinischen Eingriff narkotisiert habe. So wenig zimperlich er mit anderen war, so hart sei er gegen sich selbst gewesen.

Zum einen sei er vom Frühjahr bis Herbst und noch bis ins hohe Alter täglich in aller Frühe im Rhein geschwommen. Als guter Schwimmer habe er auch zwei Kinder aus dem eisigen Rheinwasser gerettet, wofür ihm entsprechend der Urkunde im Oberwinterer Rathaus auch die "Rettungsmedaille mit dem Bande" von Kaiser Wilhelm II. verliehen wurde. Zum anderen habe er es gewagt, sich in einem Dorf als selbstständiger "Zivilarzt" niederzulassen, in dem auch wegen des niedergehenden Weinbaus große Armut herrschte. Da ließ er sich nicht selten in Naturalien bezahlen, auch um seine Frau, eine Oberwintererin, und die neun Kinder zu ernähren.

Außerdem erschloss er neue Territorien in Zeiten, als der Transport das größte Problem war: Als einer der ersten, die im Ort ein Fahrrad hatten und auch darauf fahren konnten, fuhr er bis nach Berkum und Oeverich und bot in den dortigen Gasthäusern Praxisstunden an. Mit dem Ruderboot setzte er sogar nach Rheinbreitbach über. Wegen mangelnden Telefonanschlusses diente tagsüber eine rote Fahne und nachts ein rotes Licht als Signal für einen Notfall. Weil seine Patienten so arm waren, vermied er soweit möglich das Verordnen teurer Medizin, die damals noch immer extra in der Apotheke hergestellt werden musste, und riet zu alten Hausmitteln, oder stellte die Rechnungen teils erst Monate oder Jahre später.

Auch verwies er auf die Bedeutung von Hygiene, brachte den Kindern des Orts das Schwimmen bei und arbeitete parallel als Impf- und Schularzt sowie Arzt bei der Reichsbahn und sogar Tierarzt. Unterm Hochzeitsbild von Felix Wirtz und seiner Frau Gertrud, geborene Schlösser, saßen die Besucher von Sommerfest und Ausstellung und aßen Kuchen, als ob sie bei einer Familienfeier wären. Auch im idyllischen Rathausgarten riss der Gesprächsfaden nicht ab. Viel bestaunt und gelobt waren die Exponate, die Atzler auch nach Interviews mit Wirtz' Sohn Karl zusammengetragen, und Christian Schmiedel für die Präsentation arrangiert hatte. Zehn Schautafeln und außerdem Bilder zierten die Wände, in Vitrinen waren Unterlagen und Utensilien zu sehen: vom Verlobungs-Kaffeeservice bis zum Augenspiegel und hölzernen Stethoskop von Wirtz. Die Ausstellung zeigt auch, wie die medizinische Versorgung in nur wenigen Generationen vorangeschritten ist.

Zu sehen ist die Ausstellung sie bis Ende September immer samstags von 17 bis 18.30 Uhr und sonntags von 11 bis 12.30 und von 16 bis 18 Uhr im alten Rathaus, Hauptstraße 99, in Oberwinter.

Der Sanitätsrat

Felix Wirtz wurde ist 1864 als ältestes von 17 Geschwistern in Lengsdorf bei Bonn geboren und starb 1952 in Oberwinter. Gemäß Atzlers Recherchen wurde er auf Initiative des Remagener Landbürgermeisters, Clemens von Lassaulx, 1892 zunächst als Distriktarzt in der Gemeinde angestellt. Als selbstständiger Zivilarzt ließ er sich 1893 nieder und betrieb bis 1950 seine Praxis im "Wirtz'schen Haus", Ecke Ankergasse/Am Yachthafen, das aus dem Vermögen der Schwiegereltern stammte. Der Titel Sanitätsrat rührt von seiner Zeit als Arzt im Hilfslazarett Rolandseck während des Ersten Weltkriegs.

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