Flüchtlinge in Ahrweiler Mit dem Gummiboot in die Freiheit

KREIS AHRWEILER · Geblieben sind nach ihrer Flucht nur einige zerknitterte Fotos. Die Syrische Familie plant in Ahrweiler ihre Zukunft und hofft bald als Asylanten anerkannt zu werden.

 Im Shelter Nummer 34 leben die Shamis. Sie hoffen, bald als Asylanten anerkannt zu sein.

Im Shelter Nummer 34 leben die Shamis. Sie hoffen, bald als Asylanten anerkannt zu sein.

Foto: Martin Gausmann

"Alle sind hier sehr nett. Mir fällt auf, dass die meisten Menschen lachen und gut gelaunt sind." - Der 16-jährige Latif Shami ist erst seit wenigen Wochen mit seiner Familie in Ahrweiler. Vorübergehend sind die Shamis (Name von der Redaktion geändert) in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerbende (AfA) in der Akademie für Krisenmanagement oberhalb von Ahrweiler untergebracht. Hin und wieder geht Latif in die Stadt, die ihm gut gefällt, weil sie so ruhig ist.

Geblieben sind überwiegend Erinnerungen

Kein Wunder, wenn man aus der Drei-Millionen-Einwohnermetropole Damaskus kommt. In dem syrischen Unruheherd waren die Shamis zu Hause, bevor sie ihre lange und nervenaufreibende Flucht vor dem Regime ihres Präsidenten Baschar al-Assad antraten. Mitgenommen haben sie nichts. Geblieben sind als Erinnerung an glückliche Tage in der Heimat lediglich ein paar zerknitterte Fotos, die Familie, Haus und Nachbarn zeigen.

"Es blieb nur die Flucht"

Latifs Vater Alim ist gelernter Koch und hat in der Küche einer staatlichen Behörde gearbeitet. Nebenbei engagierte er sich in einer syrischen Hilfsorganisation, die Anlaufstelle für Regimegegner ist. Das sollte ihm zum Verhängnis werden. Assads Soldaten und Geheimdienstleute verfolgten und drangsalierten die Shamis, ihr Haus wurde beschlagnahmt. "Es blieb nur die Flucht", so die 30-jährige Tochter Samira.

Mit ein paar Koffern und mit Bargeld ausgestattet machte sich die Familie auf den Weg in Richtung Jordanien. Dort blieben die Shamis fast zwei Jahre in einem Lager.

"Dann erzählte man uns, dass sich Europa öffnet, dass Flüchtlinge aufgenommen werden", so Samira, die in Damaskus Bildende Kunst studiert hatte und sich in Jordanien ein Zubrot in einer Kosmetikfirma verdiente. Flüge in die Türkei wurden gebucht. Ziel: Izmir. Alim und Ehefrau Zuleika, Samira und Latif sowie das Nesthäkchen der Familie, der 14-jährige Kadir, starteten in ein neues Leben. Es sollte ein schwieriger Start werden.

800 - 1200 Dollar pro Person

"Kaum waren wir in der Türkei, bekamen wir Kontakt mit Schleusern", berichtet Vater Alim. "Sie boten uns an, mit dem Boot nach Griechenland überzusetzen. Das sei die einzige Möglichkeit, ins westliche Europa zu gelangen." Die Shamis ließen sich darauf ein. Der Preis? "Zwischen 800 und 1200 Dollar pro Person muss für die fünfstündige Fahrt mit einem Gummiboot gezahlt werden." Trotz des hohen Preises seien sie schlecht von den Schleusern behandelt worden. Schreien und Gewaltanwendungen seien Normalität. Als sich das völlig überladene Schlauchboot der griechischen Küste genähert habe, sei das Benzin alle gewesen - die griechische Küstenwache musste die Passagiere aufnehmen.

Fünf Tage lang wurden die Shamis nun auf einer kleinen Insel untergebracht und notdürftig verpflegt. Über Athen und Thessaloniki, Makedonien und Serbien ging es dann weiter über Österreich nach Deutschland. In Bussen und mit Taxis wurden die großen Distanzen zurückgelegt, einige Passagen auch zu Fuß. 3500 Dollar hat der Weg nach Deutschland pro Kopf gekostet - die gesamten Ersparnisse der Shamis.

Über Trier ging die Reise weiter zur Akademie nach Ahrweiler. Dort lebt die Familie seit zwei Wochen im Shelter Nummer 34. "Wir wollen hier unsere Zukunft finden", sagt Alim. Vieles ist noch ungewiss. Die Familie wartet auf den Bescheid, als Asylanten anerkannt zu werden, arbeiten zu gehen und ein normales Leben führen zu können. Kadir und Latif können erst zur Schule gehen, wenn die Shamis einer Kommune zugewiesen sind. Solange lernen sie in der Ahrweiler Aufnahmeeinrichtung ein wenig Deutsch in den Kursen, die dort angeboten werden. Samira möchte in die Kosmetikbranche einsteigen. Am liebsten als selbstständige Unternehmerin. Sie will Kosmetika aus Olivenöl herstellen und vertreiben. Und Alim möchte wieder kochen.

Das Weihnachtsfest haben die Shamis über den Dächern Ahrweilers, auf dem Akademie-Gelände, gefeiert. "Alle Feste, die dem friedlichen Zusammenleben von Menschen dienen, machen wir gerne mit", sagt der Muslime Alim. 13 Prozent der Syrer seien Christen, Weihnachten sei ihm und seiner Familie daher nicht ganz fremd, auch wenn es das Hochfest einer anderen Religion sei. Ohnehin sei Religion nicht ganz so wichtig: "Entscheidend ist unser gemeinsamer Friedenswille, der gegenseitige Respekt und die Toleranz im Umgang miteinander."

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