Smartphone statt Mikado

BACHEM · „Den Herbergsvater alter Prägung gibt es nicht mehr“ – sagt einer, der es wissen muss: Wolfgang Appel. Er ist seit fast 30 Jahren „Betriebsleiter“ – wie es heute heißt – des Jugendgästehauses im Bad Neuenahrer Ortsteil Bachem.

 27 000 Übernachtungen verzeichnet die Ahrweiler Jugendherberge jedes Jahr. Das Haus wird weiter modernisiert. FOTOS: GAUSMANN

27 000 Übernachtungen verzeichnet die Ahrweiler Jugendherberge jedes Jahr. Das Haus wird weiter modernisiert. FOTOS: GAUSMANN

Foto: Martin Gausmann

Längst nicht mehr läuft er abends gegen 22 Uhr durch die Herbergsflure und ruft: „Licht aus!“ Denn heute entscheiden die Gäste selbst, wann für sie die Nachtruhe beginnt. Und anders als früher bekommen die Gäste heute Schlüssel, mit denen sie die Türen zu ihren Zimmern auch von innen abschließen können.

Vorbei sind auch die Zeiten, in denen die Herbergsgäste nach dem Frühstück die Kartoffeln fürs Mittagessen schälen und nach dem Essen in der Spülküche Dienst tun mussten. Auch greift der Herbergsvater nicht mehr abendlich zur Klampfe, um fröhliche Volks- und Wanderlieder anzustimmen. Für die musikalische Unterhaltung der Gäste – etwa 75 sind es pro Nacht, insgesamt 27 000 jährlich – sorgen heute Youtube und Spotify. Statt Mensch-ärgere-dich-nicht oder Mikado steht heute der Blick auf das Smartphone auf dem Programm.

Anders als früher stehen dem Herbergsvater heute nicht mehr Autorität und Strenge zu Gebote, er muss vielmehr ganz auf den Diskurs setzen – und dabei immer das bessere Argument in der Hinterhand haben.

Das gilt auch für das Verhältnis zu den Mitarbeitern: Dort ist der Herbergsvater nicht mehr Gebieter, sondern Chef eines Teams, das aus 30 bis 35 Mitarbeitern besteht. Koordinieren und motivieren, diskutieren und mit gutem Beispiel vorangehen – das ist es, was in der Jugendherberge der Jetztzeit zählt.

Oft eine nicht ganz leichte Aufgabe. Denn dem Wandel der Zeit unterliegen beispielsweise auch Auffälligkeiten in puncto Manieren und Benimm. „Auch früher wurde schon mal über die Stränge geschlagen“, erinnert sich der Herbergsvater. Heute sei jedoch eine andere Form von Renitenz, Aggressivität und überzogenem Selbstbewusstsein bei manchen Jugendlichen erkennbar.

Aber nicht nur das Berufsbild des Herbergsvaters hat sich während Appels Dienstzeit gewandelt, sondern das Jugendherbergswesen insgesamt. Jugendherbergen sind heute durch und durch kundenorientierte Wirtschaftsbetriebe. Längst wird der Dienstleistungsgedanke auch dort bis zu Ende gedacht. Die Zeiten der großen Schlafsäle und der Gemeinschafts-Sanitärräume auf den Fluren gehören der Vergangenheit an.

In einem kürzlich eingerichteten Musterzimmer erinnert kaum noch etwas an die Jugendherberge vergangener Prägung, als die Jungs in kurzer Lederhose und die Mädchen im adretten Kleidchen durch die Gänge hüpften. Man fühlt sich eher wie in einem hippen Familienhotel.

Im nächsten Jahr soll das unmittelbar an der Ahr gelegene Haus wieder einmal auf den neuesten Stand gebracht werden – auch mit Blick auf die Landesgartenschau. Eine Notbeleuchtung soll eingebaut, der Brandschutz verbessert, Möbel, Böden und Küchenlüftung sollen erneuert werden. Außerdem werden, der Barrierefreiheit wegen, die Zwischentüren auf den Fluren elektrifiziert.

Das Programmangebot hat sich ebenfalls gewandelt. Wandern hat an Bedeutung stark eingebüßt. „Früher ging's von Bachem aus per pedes nach Dernau auf den Krausberg“, erinnert sich Appel, „heute stehen Action in Kletterpark und Hochseilgarten, Bogenschießen und Bowling auf dem Programm“. Eines aber ist geblieben: Die Arbeitstage des Herbergsvaters sind lang. Für Appel beginnen sie gegen 7.30 und dauern bis etwa 19 Uhr. Dazwischen gönnt er sich lediglich den „Luxus“ einer etwas längeren Mittagpause.

Dieser Nachteil aber werde aufgewogen, versichert Appel – etwa durch schöne Begegnungen. Bereits während seiner ersten Berufsstation in Diez lernte er den Jazz- und Schlagersänger Bill Ramsey kennen. Außerdem den Trompeter Till Brönner und Entertainer Stefan Raab, die damals als Schüler mit ihren Schulklassen an der Lahn zu Gast waren. „Aus vielen dieser Begegnungen sind Freundschaften geworden“, sagt Appel.

Geblieben ist auch die gute Auslastung der Einrichtung. Das hat wohl auch damit zu tun, dass Appel und sein Team über die Jahre viele Stammgäste gewonnen haben. Das Rhein-Gymnasium Sinzig etwa lädt seine Fünftklässler Jahr für Jahr nach den Sommerferien zu einem Kennenlerntag mit Übernachtung in die Jugendherberge ein. Und ein Lebensmittel-sowie ein Metallbaukonzern sind regelmäßig mit ihren neuen Azubis in Bachem zu Gast.

Ein Brand in der Herberge, ein Einbruch, ein Überfall, bei dem ein Mitarbeiter mit einem Messer bedroht wurde – auch das hat Appels Spaß an seinem Beruf keinen Abbruch getan. Das liegt auch daran, dass die Verantwortung für den Gesamtbetrieb nicht mehr nur auf seinen Schultern lastet, sondern auch auf denen seiner Assistentin Annemie Haas und von Herbergskoch Dirk Hoffmann.

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