Theater Die Wahrheit über den Apfelschuss in Bad Breisig

BAD BREISIG · Doris Friedmann in der Rolle der Wilma Tell. Im Bad Breisiger Jugend- und Kulturbahnhof präsentierte die Schauspielerin, Musikerin und Clownin aus der Schweiz die Geschichte von Wilhelm Tell und dem legendären Apfelschuss auf ihre ganz eigene Weise.

 Doris Friedmann als Wilma Tell legt auf der Bühne in Bad Breisig zum Apfelschuss an.

Doris Friedmann als Wilma Tell legt auf der Bühne in Bad Breisig zum Apfelschuss an.

Foto: Martin Gausmann

„Euren Schiller kennt ihr? Aber war er auch dabei, der Schiller? Nein. Ist auch nur ein Deutscher.“ So viel steht fest für Doris Friedmann in der Rolle der Wilma Tell. Als Nachfahrin ihres berühmten Ahnen Wilhelm Tell führte sie dem Publikum im Jugend- und Kulturbahnhof glänzend wie der rote Rock ihres dirndlartigen Kleides vor Augen, wie es wirklich war, damals, als es zum Apfelschuss kam.

Und das bedeutet Staunen, nicht nur, weil die Schauspielerin, Musikerin und Clownin aus der Schweiz ganz auf sich gestellt alle Figuren in der vom Ministerium für Kultur Rheinland-Pfalz geförderten Produktion selbst verkörpert, angefangen vom Reichsvogt Gessler bis zu den merkwürdigen Bergleuten, denen er begegnet. Sie tut es mit Witz, großer Spielfreude und lebendiger Mimik unterm verzauselt hochgesteckten Haar. Dabei schwitzte sie, immer in Aktion, ob auf ihrem imaginierten Amtsschimmel reitend oder eilig von einer Person in die nächste schlüpfend, gewiss mehr als die Zuschauer im Saal.

Einfache Geschichte wird zur farbigen Reise

Die für sich genommen einfache Geschichte staffierte Friedmann zu einer farbigen Reise aus. Im urig-eidgenössischen Terrain lernt man Gessler, der mit dem Freiherrn von Attinghausen ein Freihandelsabkommen schließen soll, nicht als tyrannischen Reichsvogt kennen. Vielmehr kennzeichnet Friedmann den „dicklichen Ritter ohne Rüstung, Armbrust, Bart und Sinn für Landschaft“ als etwas schwerfälligen, gutmütigen Beamten des Mittelalters.

Die Schönheit eines Sees und der hohen Berge berührt ihn nicht. Der Föhn verursacht ihm Kopfschmerz, doch übersteht er manche seltsame Begebenheit, wie die irritierende Überfahrt mit einem schweigenden und sich immerfort durchs Brusthaar fahrenden Schiffer. Bald vergaloppiert er sich auf die Alb, wo er den ebenso stark überzeichneten Hans Jockel trifft.

Der spricht in Zeitlupe, jodelt und seine Kühe geben Ricola. Ihn sieht er in der „Chasri“, Käserei, wieder, wo dieser seinem Vrenili ein Liebesständchen am Klavier gibt, um unversehens in grandiose Lachsalven auszubrechen. „Ihr dürft ruhig mitlachen, hemmungslos“, forderte Friedmann das Publikum erfolgreich auf. An fortgeschrittener Stelle sollen die Leute murren. Doch zuvor greift die vielseitige Frau auf der Bühne als Wirtin eines Gasthauses, „wieder eine urschweizerische Institution“, zum Akkordeon.

Schweizer Spezialitäten

Singend und gewürzt von Juchzern schmettert sie, soweit das für rheinische Ohren verständlich war, Schweizer Spezialitäten entgegen.

Nur noch eine Mission steht Gessler alsdann bevor. Er hat, wenn ihm auch der Sinn nicht danach steht, zu überprüfen, ob die Eidgenossen den kaiserlichen Hut auf der Stange grüßen. Wilhelm Tell versäumt dies „aus Versehen“ und Gessler verzeiht ihm. Das Publikum als Volk aber hört nicht auf zu murren, bis Tell das Ritual als freier Mann verweigert, was unweigerlich zur Apfelschussszene führt. Die gab es in drei Varianten.

In der skandinavisch trockenen Version fängt Gessler den Pfeil Tells und zerbricht ihn. Nach blutiger spanischer Lesart trifft der Pfeil den Jungen, dann das Pferd, alle Umstehenden und zuletzt einen urplötzlich vom Berge rollenden Käse, was endlich die Löcher erklärt. Das non plus Ultra allerdings bot die herzige Schweizer Version: Der Wurm, der es sich im Apfel gemütlich gemacht hat, Tee trinkt und die Zeitung liest, zückt, während der Pfeil anschwirrt, rechtzeitig das „Strickleiterli“ und nimmt unversehrt den Hinterausgang – der beklatschte Höhepunkt eines tollen musikalisch-komischen Theaterstücks.

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