Kuriosum in Rech Abfertigungshelfer am Bahnsteig

RECH · Grafschafter Unternehmen stellt für die Bahn in Rech Abfertigungshelfer. Die Unterstützung ist nötig, weil der Bahnsteig in einer Kurve liegt und der Lokführer den Zug nicht einsehen kann.

Zeiterfassung am Fahrkartenautomaten: Jede Stunde muss Abdessamad Seddiki nachweisen, dass er als Abfertigungshelfer auf dem Bahnsteig in Rech ist.

Zeiterfassung am Fahrkartenautomaten: Jede Stunde muss Abdessamad Seddiki nachweisen, dass er als Abfertigungshelfer auf dem Bahnsteig in Rech ist.

Foto: Günther Schmitt

Der eine würde vor Langeweile eingehen, Für den anderen wäre es ein Traumjob: Fünf Minuten arbeiten, 20 Minuten Pause, fünf Minuten arbeiten, 35 Minuten Pause. Und das neuneinhalb Stunden pro Tag. Mal vier Tage pro Woche, mal fünf und mal sechs. Das ist unterschiedlich. Und das zu einem Stundenlohn, von dem es sich leben lässt. „Ich produziere Sicherheit“, sagt Abdessamad Seddiki. Er ist 28 Jahre alt und hat den wohl seltensten Job im Kreis Ahrweiler. Der junge Marrokaner, der schon 1996 nach Deutschland kam und jetzt endgültig auch Deutscher werden will, ist ein sogenannter Abfertigungshelfer.

Sein Arbeitsplatz: der Bahnhof in Rech an der Ahr. Dort ist der Mitarbeiter einer Grafschafter Sicherheitsfirma im Auftrag der Bahn unterwegs, genauer der DB Regio. Denn diese hat einen Vertrag mit einer Essener Firma, die wiederum das Unternehmen Pape Wirtschafts & Industrie Services GmbH in Oeverich eingesetzt hat. Ein Unternehmen, das auch bei den Heimspielen der Kölner Haie für Sicherheit sorgt, seit 2011 seinen Hauptsitz in der Grafschaft hat und 54 Mitarbeiter beschäftigt.

Die Aufgaben der Helfer

Der Auftrag der DB Regio ist denkbar einfach: Für Sicherheit am Bahnsteig sorgen und Reisenden in und aus dem Zug helfen, wenn diese Probleme haben. Denn Rech ist unter den Bahnhöfen im Kreis Ahrweiler ein Sonderfall. Weil der Bahnhof genau in einer von Osten aus gesehen Rechtskurve der Gleise liegt, kann der Zugführer, egal ob er Richtung Ahrbrück oder Remagen fährt, sein Zugende nicht sehen. In Zeiten, als die Bahn auf jedem Bahnhof noch Personal hatte, war das kein Problem. Doch seit die Bahn im Ahrtal auf die neuen und längeren Züge umgestellt hat und es keine Bahnhofsvorsteher oder Schaffner mehr gibt, ist der Bahnsteig in Rech ein Sicherheitsrisiko.

Genau dieses zu minimieren, das ist der Job von Abdessamad Seddiki und seinen drei bis vier Kollegen, die sich den Schichtdienst in Rech teilen: von früh um fünf bis 14.30 Uhr und von 14.30 bis 0.20 Uhr Uhr. Der Dienst beginnt eine halbe Stunde, ehe der erste Zug kommt, und endet eine halbe Stunde nach dem letzten Zug. Und jede Stunde schiebt der Abfertigungshelfer, der von der Bahn offiziell als „Reisendenhelfer“ bezeichnet wird, ein Kärtchen in ein Zusatzgerät am Fahrkartenschalter. „Das ist die Zeiterfassung“, sagt Seddiki. „So belegen meine Kollegen und ich, dass wir im Einsatz sind.“ Er ist froh, dass so langsam das Frühjahr kommt.

Denn eine Unterkunft für die Abfertigungshelfer gibt es am Bahnhof nicht. Dazu dient das eigene Auto, dessen Motor bei Minusgraden für die Heizung ab und zu angeworfen werden musste. „Jetzt ist das schön“, sagt Seddiki, dem es außerhalb der Saison durchaus an Stress mangelt.

"Man muss aufpassen wie ein Luchs"

„Sobald die Touristen wieder unterwegs sind, kann man nicht Augen genug haben“, sagte der junge Mann, der in Meckenheim lebt und einen alten Kombi fährt. „Und bei den Weinfesten im Herbst, wenn so manches Glas Ahrwein im Spiel ist, musst du aufpassen wie ein Luchs, damit die Fahrgäste hinter der durch weiße Punkte auf dem Bahnsteig markierten Sicherheitslinie bleiben.“ Die Zugführer kennen Seddiki, sie winken ihm zu. Doch für ein Gespräch ist nie Gelegenheit. Denn der Mann von der Security hat einen festen Standort, von dem er den Zug in beide Richtungen bis zum jeweiligen Ende sehen kann. „Nur wenn ich den Arm hebe, darf der Zugführer abfahren. Dann ist sichergestellt, dass jeder ein- oder ausgestiegen ist und alle hinter der Sicherheitslinie sind“, ist sich der 28-Jährige seiner Verantwortung bewusst.

Und Hilfsbereitschaft gehört auch zum Job. Den hat er im Kölner Hauptbahnhof als „Reisendenlenker“ gelernt. Mal die schwere Tasche in den Zug heben, den Rollator in die richtige Richtung stellen oder den Weg zum Ahrsteig weisen. All das gehört ebenfalls zu dem Job, den Seddiki seit mehr als einem halben Jahr macht. Nicht unbedingt der Job seines Lebens, davon hatte ich viele, aber „ein sicheres Einkommen und gerade jetzt, wo es draußen wieder schön wird, auch angenehm“.

Sollte in der Pause einmal Langeweile aufkommen: Nebenan ist die Brückenbaustelle auf der immer was zu sehen ist, und gute Bücher hat Seddiki immer auf dem Beifahrersitz. Krisenfest ist der Job übrigens bis mindestens 2020. Erst dann rechnet die Bahn, wie sie dem General-Anzeiger auf Anfrage mitteilte, mit einem Umbau des Bahnsteigs in Rech. Bis dahin gilt für Seddiki und seine Kollegen: „Wir haben zwar viel Pause, aber die Sicherheit, die wir in den wenigen Minuten der Zughalte produzieren, ist den Leerlauf wert.“

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