Autor Ottmar Prothmann aus Oeverich Ein Buch zur Geschichte der Grafschafter Juden

GRAFSCHAFT · Ein Buch zur Geschichte der Grafschafter Juden hat Ottmar Prothmann aus Oeverich vorgelegt. In der ersten Auflage werden mit Unterstützung der Gemeinde Grafschaft voraussichtlich 1000 Bände gedruckt.

Sie haben den Terror der Nazis nicht überlebt: (von links) Walter, Emilie, Leo, Heinrich und Siegfried Jacob aus Nierendorf.

Sie haben den Terror der Nazis nicht überlebt: (von links) Walter, Emilie, Leo, Heinrich und Siegfried Jacob aus Nierendorf.

Foto: ga

„Das ist lange her. Muss das immer wieder aufgewärmt werden?“ Sätze wie diese hat Ottmar Prothmann aus Oeverich immer wieder gehört. Seit 1970 beschäftigt sich der im Ruhestand lebende Grafschafter und frühere Mitarbeiter des Bonner Stadtarchivs mit der Geschichte der Juden in der Grafschaft, hat mehrere Beiträge zu diesem Thema veröffentlicht. Doch ein Gesamtwerk hat bis dato gefehlt.

Das soll sich ändern. Ein 300 Seiten starkes Werk unter dem Titel „Geschichte der jüdischen Einwohner in der Gemeinde Grafschaft“ befindet sich zurzeit im Satz. Erste Korrekturabzüge samt Inhaltsangabe liegen dem General-Anzeiger vor. Vorbehaltlich der Zustimmung des Grafschafter Gemeinderates wird die Gemeinde das Buchprojekt von Ottmar Prothmann durch Übernahme der Satz- und Druckkosten fördern.

Der Verkauf des Buches „Geschichte der jüdischen Einwohner in der Gemeinde Grafschaft“ soll über die Gemeindeverwaltung erfolgen. Die aus dem Verkauf erzielten Einnahmen sollen zur Förderung von Projekten in der Gemeinde verwendet werden, die an die früheren jüdischen Mitbürger erinnern. Der Verkaufspreis soll bei 15 Euro liegen.

1000 Bücher gedruckt

Bürgermeister Achim Juchem sieht in der neuen Veröffentlichung Prothmanns einen „beeindruckenden Beitrag“ zur Erinnerung an die Geschichte und das Schicksal der jüdischen Bevölkerung. „Die qualitativ sehr hochwertig und wissenschaftlich recherchierte Arbeit von Ottmar Prothmann wird auch mit Blick auf die Vielzahl der von ihm bereits veröffentlichen Bücher ein weiteres wertvolles Dokument über die Heimatgeschichte der Grafschaft darstellen. Ohne die Unterstützung der Gemeinde könnte das Buch jedoch nicht erscheinen“, so Juchem. Wobei der Bürgermeister ausdrücklich betont, dass der Autor auf jegliches Honorar verzichtet.

Von dem in einigen Wochen erscheinenden Buch, das auch als offizielles Präsent der Gemeinde eingesetzt werden soll, sollen auch die Grundschulen der Grafschaft, alle weiterführenden Schulen und Büchereien im Kreis Ahrweiler sowie das Studienhaus Sankt Lambert in Lantershofen ein kostenloses Exemplar erhalten. „Sofern die Grafschafter Vereine Interesse haben, können sie ebenfalls ein kostenloses Exemplar im Rathaus anfordern“, sagt Juchem. In der ersten Auflage würden voraussichtlich 1000 Bücher gedruckt.

Ein Blick in die Korrekturabzüge macht klar, dass es in dem Gebiet der heutigen Grafschaft wie auch im Ahrtal und im Brohltal schon seit Jahrhunderten jüdische Mitbürger gab. So ist bereits 1609 der jüdische Friedhof von Gelsdorf beurkundet. In dem Dorf haben wohl die meisten Grafschafter Juden gelebt. Spannend ist die von Prothmann aufgetane früheste Erwähnung eines auswärtigen Juden namens Bonefant in der Grafschaft. Der Geldverleiher aus Linnich hatte Ritter Winmar von Niederich ein Darlehen gewährt, das dessen Erbe, Hilger von Langenau, 1389 zurückzahlte.

Schicksal der Familie Jacob aus Nierendorf

Von der ersten Grafschafter Synagoge berichtet 1811 der Gelsdorfer Bürgermeister Franz Heinrich von Gruben. Zu seiner Gemeinde zählten damals auch Eckendorf, Holzweiler, Esch und Vettelhoven. Prothmann: „1843 wird ein Bethaus in Gelsdorf erwähnt. Zu dessen Unterhalt trugen sämtliche Juden von Gelsdorf, Lantershofen und Nierendorf bei, zusammen acht Haushalte mit 37 Personen.“ Beruflich siedelt Prothmann die Grafschaften Juden „überwiegend in ihren alten Berufen Metzger und Kleinhändler“ an. Und das Leben in der Grafschaft war für sie sowohl ein Miteinander als auch ein Nebeneinander. Bis die Nazis an die Macht kamen. „Drittes Reich – Ein Leidensweg von der Erniedrigung bis zur Ermordung“ überschreibt der Heimathistoriker das längste Kapitel.

Und geht dabei beispielhaft auf das Schicksal der Familie Jacob aus Nierendorf ein: Emilie und Heinrich Jacob haben mit ihren Kindern Walter, Leo und Siegfried das Terrorregime nicht überlebt. Was in der Pogromnacht 1938 geschah, hat der Nierendorfer Pfarrer Johannes Häbler am 11. November 1938 notiert: „Gestern um die Mittagszeit erschienen ein Auto und ein Motorrad mit Beiwagen, besetzt mit SS- und SA-Männern vor dem Haus Heinrich Jakob, drangen in die Wohnung ein, zerschlugen Glasgegenstände und auch die großen Fensterscheiben in dem früheren Wirtschaftslokal.

Nachts um zwei erschien wieder ein Zug mit vier Autos, deren Nummern zugeklebt waren, damit man sie nicht lesen konnte, um das Werk der Zerstörung fortzusetzen. Die Schreckensnacht wird der Judenfamilie unvergesslich sein. Der Mann war in der Angst nur mit Hemd bekleidet und barfuß, Frau und Kinder schrien laut um Hilfe.“ Solch ausführliche Schilderungen Dritter sind selten. Daher sieht Prothmann gerade die Darstellung der jüdischen Geschichte als problematisch an, auch mit Blick auf den Datenschutz: „So entsteht ein fast gespenstisches Bild, in dem die Opfer alle mit ihren Namen und weiteren biografischen Daten Erwähnung finden, die Täter aber anonym bleiben müssen.“

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