Ökumenische Diskussionsrunde in Lantershofen Die Armut vor der Haustür

LANTERSHOFEN · Was meint Papst Franziskus, wenn er die Kirche der Zukunft an den Rändern und bei den Armen sieht? Dieser Frage ging eine ökumenische Talkrunde nach, die die katholische Pfarreiengemeinschaft und die evangelische Kirchengemeinde in der Kreisstadt entwickelt haben.

 Armut hautnah: Ehrenamtliche bei der Lebensmittelausgabe der Ahrweiler Tafel.

Armut hautnah: Ehrenamtliche bei der Lebensmittelausgabe der Ahrweiler Tafel.

Foto: Martin Gausmann

Im Studienhaus Sankt Lambert in Lantershofen diskutierten Marion Eisler-Bodtenberg vom Diakonischen Werk, Schwester Scholastika als Generaloberin der Dominikanerinnen von Arenberg und Bruder Josef von der Dormitio-Abtei in Jerusalem, der derzeit in Lantershofen studiert, unter der Leitung von Dechant Jörg Meyrer und der Synodalmoderatorin Barbara Prämassing.

Was die Diskussionsteilnehmer als Rand sehen, kristallisierte sich schnell heraus: "Es gibt wesentlich mehr Armut als man sich vorstellen kann - nicht nur materiell, sondern auch im Umgang miteinander", sagte Eisler-Bodtenberg. Armut führe auf lange Sicht zur Vereinsamung, denn wenn man sich nichts mehr leisten könne, falle man schnell aus der Gesellschaft heraus. "Das haben viele nicht im Blick", sagte die erfahrene Streetworkerin.

Ein Indiz für die zunehmende Armut auch in unserer Region sei die Tatsache, dass die Tafel in der Kreisstadt mittlerweile 130 ehrenamtliche Mitarbeiter beschäftige, die sich um gut 700 Kunden kümmern: "Armut vor der Haustür." Auf der anderen Seite gebe es Menschen mit genügend Geld, die aber niemanden haben, mit dem sie sich unterhalten könnten.

Kinder- und Altersarmut steigt an

Zugleich stiegen Kinder- und Altersarmut immer deutlicher an. Die schlimmste Phase sei ohnehin für viele Menschen, wenn sie nach einem Jahr aus dem Arbeitslosengeld I in Hartz IV absinken, denn das funktioniere bei weitem nicht so reibungslos, wie man sich das gemeinhin vorstelle.

Die Bearbeitung eines Hartz IV-Antrages könne dauern, und währenddessen interessiere es niemanden, ob der Betroffene etwas zu essen hat oder die Kinder die notwendigen Schulbücher besitzen. "Wir müssen lernen, hinzuschauen und den Menschen wahrzunehmen", appellierte Marion Eisler-Bodtenberg. "Ich habe den Eindruck, dass die Ränder mittlerweile größer sind als die Mitte."

Das bestätigte Schwester Scholastika, die dafür plädierte, den Menschen mehr Raum zu schenken, um ihre Geschichte erzählen zu dürfen. Sobald ein Vertrauensraum geschaffen sei, kämen Geschichten zum Vorschein, "die sind wahrlich unerhört". Gerade für Menschen am Rande der Gesellschaft sei es wichtig, sich nicht verstellen und verstecken zu müssen, sondern mit ihren Ängsten und Sorgen angehört und ernst genommen zu werden.

Die Kirche wird immer anonymer

Aber auch die Kirche selbst laufe Gefahr, die Menschen mehr und mehr aus den Augen zu verlieren, denn die Pfarreien würden immer größer und damit auch anonymer. Es werde immer schwieriger, miteinander ins Gespräch zu kommen, so die Ordensschwester.

Bruder Josef äußerte die Befürchtung, dass gerade Ordensleute wie er, die in einem sicheren und abgeschirmten Bereich leben, nicht nah genug dran seien an den Menschen in ihrem Umfeld. Dabei könne man das Problem ganz leicht lösen, indem man schlicht und einfach Anlaufpunkt sei, um ins Gespräch zu kommen. Er habe den Eindruck, dass die Kirche als Institution mehr und mehr mit ihrer Zeitgenossenschaft fremdelt: "Wir verstehen nicht mehr alles, was um uns herum läuft."

Es habe sich auch eine gewisse Angst vor nichtkirchlichen Strukturen breitgemacht, so Bruder Josef, was aber dem Auftrag entgegenwirke, die Menschen vom christlichen Glauben zu überzeugen.

Auf Augenhöhe kommunizieren ist wichtig

"Wir sehen uns als Macher und als Problemlöser und tun uns schwer mit Schwäche und Scheitern", so Schwester Scholastika. Dabei habe schon der heilige Dominikus gewusst: "Wir müssen zu Fuß gehen und nicht hoch zu Ross, denn auch das Volk geht zu Fuß."

Marion Eisler-Bodtenberg ergänzte, man dürfe im Kontakt mit Menschen am Rande der Gesellschaft nicht schon von vornherein die passende Lösung parat haben und wissen, was gut für den Anderen ist, "denn dann sind wir nicht mehr auf Augenhöhe". Eine echte Beziehung könne nur mit Menschen auf Augenhöhe geschehen.

"Den anderen würdigen", das sah Bruder Josef denn auch als Schlüsselbegriff des Abends an. Und Meyrer ergänzte aus eigener Erfahrung: "An die Grenze gehen heißt auch, persönlich beschenkt zu werden - nicht immer, aber oft." Man müsse sich das Wort von Papst Franziskus noch einmal vergegenwärtigen, der da sagte: "Jeder Mensch ist von Gott unendlich geliebt - voraussetzungslos und auch ohne jegliche Leistung."

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