Anita Saal aus Ahrweiler Gewissheit nach hundert Jahren

AHRWEILER · Es war eine Aufgabe, die fast ans Unmögliche grenzte. Über viele Jahre hinweg hat Anita Saal aus Ahrweiler versucht, den letzten Wunsch ihrer 1997 verstorbenen Mutter Margarethe Salz zu erfüllen: "Finde das Grab meines Bruders."

 Anita Saal aus Ahrweiler mit dem Tagesbuch ihres 1914 in Frankreich gefallenen Onkels Josef-Marx Salz.

Anita Saal aus Ahrweiler mit dem Tagesbuch ihres 1914 in Frankreich gefallenen Onkels Josef-Marx Salz.

Foto: Günther Schmitt

Josef-Marx Salz war der Onkel, den die heute 73-jährige Anita Saal nie kennengelernt hat. Er war Soldat im Ersten Weltkrieg, Unteroffizier der 9. Kompanie des Infanterie-Regiments Nummer 7 der 33. Reserve-Disvision. Und vom ersten Tag an dabei. Er wurde nur 26 Jahre alt, fiel am 12. Oktober 1914 in Frankreich. Hundert Jahre lang wusste seine Familie nicht, wo Onkel Josef seine letzte Ruhe fand. Anita Saal und ihr Mann Karl, vor seinem Ruhestand Chef des Kreisjugendamtes, fuhren Friedhof um Friedhof ab. Ohne Erfolg.

Der stellte sich erst vor wenigen Wochen ein, hundert Jahre nach Beginn des ersten Weltenbrandes. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und sein französisches Pendant meldeten sich bei Anita Saal. Der Friedhof, auf dem Josef-Marx Salz ruht, ist der "Vaux-lès-Palmeix", 18 Kilometer südöstlich von Verdun.

Dorthin hatte der französische Gräberdienst in den 1920er Jahren deutsche Gefallene, die zuvor in Massengräbern waren, umgebettet. Auf "Vaux-lès-Palmeix" liegen 2655 deutsche Soldaten in Einzelgräbern. 2935, von denen nur 920 namentlich bekannt sind, liegen in einem sogenannten Kameradengrab der Ehrenstätte. Einer von ihnen ist Josef-Marx Salz. Grund für Anita Saal, eine Fahrt dorthin zu planen. Denn das hatte sie ihrer Mutter versprochen. Ein Versprechen, dass jetzt endlich eingelöst werden kann.

Josef-Marx Salz ist in der Familie auch heute noch gegenwärtig, denn sein Tagebuch ist erhalten geblieben. In gestochener Sütterlinschrift hat der Unteroffizier dort die letzten drei Monate seines Lebens festgehalten. Ein Dokument der Zeitgeschichte, in dem nur in den ersten Tagen das Wort "Hurra" vorkommt, als geschilderter Ausruf, nicht als Empfindung. Empfindung schildert Salz am 24. August: "Französische Gefangene und Verwundete sind nicht unsere Feinde, sondern die feindlichen Geschosse", schildert er das Rufen von Getroffenen beider Seiten nach Frau, Braut, Mutter. Keine Spur von Hurra-Patriotismus, denn schon an diesem Tag hatte seinen Kompanie jeden fünften Mann verloren.

Barwiliers hieß das Dorf, das Salz nur vier Tage später passierte, vorbei an "Leichen und Kadavern von Pferden". Seine Notizen gelten den Dörflern: "Die armen Leute können auch nichts für den Krieg." 6. September: "Eisenhagel feindlicher Geschosse" und ein Hinterhalt. Und schon damals gab es "friendly fire", die Geschosse von Salz' Kompanie schlugen im direkten Umfeld der eigenen Truppen ein.

Gegen all das, Matsch und Regen half nur ein Mittel: Rotwein "Ich war total betrunken", schreibt Salz, um sich am 24. September in Kaliforny wiederzufinden. So hieß das Gehöft für die Rast mit Zigarren und wieder Rotwein, "der in letzter Zeit reichlich geflossen war". Nur zu essen gab's nichts. Stationen vor Verdun: Etain, Ruzy, Proscher, Vivelle, Domatrin. In Letzterem wurde die Kirche zum Verbandshaus, "die Offiziere des Bataillons war bis auf einen Oberleutnant gefallen".

Was folgte: Nachtgefechte, Trommelfeuer der Artillerie, und wie aus einer anderen Welt ein Gottesdienst, zu dem ein französischer Abbé gebeten hatte. Der letzte Eintrag am 12. Oktober 1914: "Es entrollt sich ein heftiges Feuer. Maschinengewehre, Artillerie, Schrapnells. Auf unserer Seite ist manchem Kamerad der Schützengraben zum Grab geworden. Unter anderem" - hier enden die Aufzeichnungen.

Ein Kamerad des Unteroffiziers schrieb damals an dessen Bruder Hermann Salz: "Dein Bruder ist durch eine Granate gefallen. Wir, die jetzt noch leben und bangen, haben es schlimmer als die Toten." Das Tagebuch wurde gefunden. Es wurde mit Datum 26. Januar 1917 der Familie übersandt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort