Gedanken zum Christfest Neuhaus-Kiefel berichtet über die Träume von Kindern in Neu-Delhi

Kreis Ahrweiler · Begegnungen und Erfahrungen in Neu-Delhi verleihen dem Weihnachtsfest 2019 von Stephan Neuhaus-Kiefel einen besonderen Glanz. Der Seelsorger der Alt-Katholiken im Ahrtal berichtet von für ihn wertvollen Erinnerungen.

 Stephan Neuhaus-Kiefel mit Kindern und Jugendlichen des Projektes „Butterflies“ in Delhi.

Stephan Neuhaus-Kiefel mit Kindern und Jugendlichen des Projektes „Butterflies“ in Delhi.

Foto: Kirche

Subhana ist 14 Jahre alt. Als sie vor zwei Jahren in einer Weihnachts-Gala des ZDF zu Gast war, eroberte das Mädchen aus Neu-Delhi die Herzen der Zuschauer. Subhana ist Kinder-Gesundheitshelferin bei der Organisation „Butterflies“, die ihr Engagement ganz der Sorge um Indiens Straßenkinder gewidmet hat.

„Butterflies“ ist eine der bekanntesten Organisationen in der Arbeit mit Straßenkindern in Indien. Der Verein wurde privat gegründet und hilft auf vielfache Weise: mit Notunterkünften, einem Gesundheitsbus, einer Kinderbank, einer Kochschule. Das Besondere daran ist: Die Kinder müssen die Angebote nicht suchen oder aufsuchen. Die Streetworker gehen dorthin, wo die Kinder sind. Im Februar hatte ich das Glück, die Projekte von „Butterflies“ vor Ort in Neu Delhi kennenzulernen. Und damit auch Subhana, die mich, wie schon die TV-Zuschauer, mit einem herzlichen „Grüß Gott“ empfing. Ich traf sie während des Unterrichts in einem heruntergekommenen Hof, zu dem mich die Wege durch eines der vielen Elendsviertel führten.

Dieser Platz, umgeben von Müllbergen und armseligen Hütten, war für die Kinder eine große Chance. Sie strahlten eine Hoffnung aus. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von „Butterflies“ haben das möglich gemacht. Sie haben eine Gewerkschaft gegründet und die Kinder werden an demokratischen Prozessen beteiligt. Subhana hat als Kinder-Gesundheitshelferin die Grundlagen über Hygiene, Desinfektion und die Prävention von Krankheiten gelernt. Sie ist ständig im Einsatz für andere Kinder, die wegen des Mülls auf den Straßen, dem schmutzigen Wasser und schlechtem Essen gesundheitliche Probleme haben.

Würde als Geschenk

Zu Weihnachten gehört der Glanz in Kinderaugen. In diesem Jahr verleihen die Begegnungen und Erfahrungen in Delhi meinem Weihnachtsfest einen besonderen Glanz. Und es bleibt eine wertvolle Erinnerung. Denn dort habe ich erleben dürfen, wie den Kindern etwas geschenkt wird, das sie draußen auf der Straße entbehren müssen: die Würde, die mir, trotz aller widrigen Umstände, aus ihren strahlenden Gesichtern entgegenblickte. Da haben Menschen ihren Platz gefunden. In der Weihnachtsgeschichte heißt es: „,Denn in der Herberge war kein Platz für sie.“ Dass Menschen, nicht nur in Indien, von ihren Plätzen vertrieben werden, dass ihre Lebensplätze zerstört werden, weil andere ihren Platz einnehmen wollen, ist eine bittere Erfahrung. Viele menschliche Lebensprobleme sind „Platzfragen“. Die zunehmend chaotischen Entwicklungen in unserer Gesellschaft rühren auch daher, dass viele Menschen nicht mehr wissen, wer und was sie sind und wo sie hingehören. Ich glaube, jede und jeder braucht einen Platz, einen Ort, an dem er ganz er selbst sein kann.

An Weihnachten feiern wir ein Kind. Kinder spielen gerne! Auch bei den Kindern und Jugendlichen in Delhi kommen die spielerischen und sportlichen Aktivitäten nicht zu kurz. Sie erleben etwas, das ich auch in der Kirche erfahre: einen Ort, an dem Spielräume eröffnet werden. Wie schön ist es, wenn ich in meiner Gemeinde erfahren darf, dass ich selbst ein Kind Gottes bin. Ich verstehe Kirche als einen Ort, der jenseits von Zweck und Leistung eine Sicht auf das Menschsein und eine Achtung vor jedem einzelnen Menschen schenkt. Das könnten eine Stärke und ein Alleinstellungsmerkmal von Kirche sein. Ein Raum, in dem auch das innere, verletzbare und verwundete Kind, einen Platz hat. Ein Kind Gottes sein, heißt glauben dürfen, dass ich zuallererst ein geliebter Mensch bin – vor jedem Ansehen, das ich erworben habe, vor jeder Bildung und vor jedem Besitz, den ich vorweisen kann.

Kinder haben typische Kinderträume

In Delhi erfahren die Kinder und Jugendlichen etwas von dem, das mir auch in dem kleinen Kind in der Krippe zugesagt ist: Dass wir groß von uns denken dürfen. Und so stehe ich vor den Schülerinnen und Schülern und frage sie, weil mein Hindi nicht besonders ausgeprägt ist, auf Englisch nach ihren Träumen. Es sind Träume, die Kinder haben: ein berühmter Fußballspieler oder Schauspielerin in einem der Bollywood-Streifen zu werden. Was ich jedoch mehrfach zu hören bekomme, ist das Wort „Chef“. Chef sein an einem festen Arbeitsplatz, etwas zu sagen haben und Verantwortung übernehmen. Das war und ist für viele der größte Traum.

Nach dem Unterrichtsbesuch ging es am Nachmittag in die „Butterflies School of Culinary & Catering.“ Dort lernen Jugendliche das Kochen und werden in einem speziellen Trainingsprogramm darauf vorbereitet, später einmal eine Stelle in der Gastronomie zu finden. Hasim hatte ganz großes Glück. Er fand eine Anstellung als „Chef“ auf einem Luxusliner. Andere fanden einen Job in einem der vielen Hotels in Delhi, die teilweise einen großen Namen tragen.

In Indien bin ich jungen Menschen begegnet, die an ihren oft armseligen Plätzen abgeholt wurden und die ihren Platz gefunden haben. Sollten Sie sich an den Weihnachtstagen in einem der Gottesdienste wiederfinden, dann wünsche ich Ihnen, dass Sie sich darin wiederfinden. Dass Sie vorkommen mit Ihrem Leben, sich angesprochen fühlen und spüren, dass etwas ausgeht von dem Kind, das Sie groß von sich denken lässt. So wie mich die Begegnung mit Subhana und all den anderen Kindern heute noch darin bestärkt, dass meine Hoffnung kein Traum bleibt.

▶ Mehr über das Projekt „Butterflies“ im Internet: www.butterflieschildrights.org.

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