Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen war ein Kind der Region

REMAGEN · Genossenschaften auf der ganzen Welt feiern den 200. Geburtstag des Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der aus dem Rheinland stammt. Einige Stationen seines Lebens in der Region.

Gemälde: Friedrich Wilhelm Raiffeisen um 1870.

Gemälde: Friedrich Wilhelm Raiffeisen um 1870.

Foto: ga

"Einer für alle, alle für einen.“ Das hat zwar etwas von Alexandre Dumas und seinen drei Musketieren, doch ist es auch der Grundgedanke der Genossenschaften. Die Genossenschaftsidee hat Deutschland 2017 den ersten Eintrag in die Unesco-Liste des Immateriellen Kulturerbes verschafft.

Weltweit sind rund 800 Millionen Menschen in Genossenschaften organisiert. In Deutschland vereinen 8000 Genossenschaften mehr als 22 Millionen Mitglieder. Seit mehr als 160 Jahren sind Genossenschaften im Finanzwesen, in Landwirtschaft, in Handel und Gewerbe oder im Wohnungsbau erfolgreich.

Fällt der Begriff Genossenschaften, fällt zwangsläufig auch der Name Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Neben Hermann Schulze-Delitzsch gilt er als der große Gründervater des deutschen Genossenschaftswesens. Doch wer war der Mann, dessen Name bis heute für Solidarität steht, der Mensch, dessen Geburtstag in diesem Jahr zum 200. Mal wiederkehrte?

Spuren zwischen Rhein, Mosel und Ahr hinterlassen

Eine Frage, der der General-Anzeiger nachgegangen ist. Grund: 1818 in Hamm an der Sieg, am Rande des Westerwaldes geboren und 1888 im heutigen Neuwied gestorben ist Friedrich Wilhelm Raiffeisen ein Kind der Region. Ein Mann, der Spuren zwischen Rhein, Ahr und Mosel hinterlassen hat. Spuren, die sich nicht unbedingt in Datenbanken finden.

Raiffeisens persönliches Wirken kann an Hand von bislang teilweise unveröffentlichtem Material an Stationen festgemacht werden: Antweiler, Wershofen, Nohn, Remagen, Winningen, Mayen und zumindest als Ideengeber in Mayschoß. Aber auch an der Liebe zu einem Menschen: Emilie Storck (1827-1863), Tochter des Remagener Apothekers Georg Christian Storck.

Es muss eine Art Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, dennoch geprägt Ernsthaftigkeit und Zukunftssicherung. Denn immerhin zwei Jahre ließ sich Friedrich Wilhelm Zeit, um Emilie zu werben. Als 25-Jähriger hatte er den Teenager in Winningen kennengelernt. Die 17-jährige Emilie war an die Mosel gekommen, um dort, wie es damals üblich war, bei ihrer Tante die Hauswirtschaft zu erlernen. Zusammengekommen waren die beiden über den Freundeskreis „Euterpia“.

Ein Zusammenschluss junger Mensch aus dem Koblenzer Raum unter dem Namen der Muse der Freude und des Musizierens Euterpe. Aber auch Bacchus soll im Haus des Arztes Carl Wilhelm Arnoldi, dem Treff der „Euterpia“ massiv zu seinem Recht gekommen sein. Denn erstens hatte Arnold (1809-1876) einen reichbestückten Weinkeller und zweitens galt der kreativen Truppe der Winninger Wein als „gar köstlicher Labetrank zur Erhöhung der gesellschaftlichen Freude“.

Freude, die Emilie und Friedrich Wilhelm gerne teilten. Auch bei Ausflügen, bei denen es dann irgendwann gefunkt haben muss. Denn der Liebesbriefe zwischen Raiffeisen und seiner Künftigen waren gar viele. Die Postboten in Remagen, wo Emilie 1845 wieder bei ihren Eltern lebte, und Weyerbusch im Westerwald, wo Friedrich Wilhelm ein festes Auskommen als Bürgermeister gefunden hatte und Heiratspläne schmiedete, kamen immer öfter.

Etliche dieser Briefe sind inhaltlich überliefert, zeugen von Romantik, aber auch Gottvertrauen. So dieser Auszug vom 24. Juni 1845, morgens fünf Uhr: „Du, mein liebes Bräutchen, liegst jetzt jedenfalls noch bis über die Ohren unter der warmen Decke, während ich hier an meinem Tisch sitze, schreibe und Wasser trinke. Aller Anfang ist Gott. Mit ihm wollen wir alles anfangen und vollenden, damit wird gewiss alles gut.“

Im Juni war Verlobung. Die Hochzeit fand am 23. September 1845 in Remagen statt. Die Euterpier standen Spalier an Sankt Peter und Paul. 18 Jahre dauerte die Ehe der Geistesverwandten, denn Emilie teilte die sozialen Ideen des Reformers. Drei ihrer sieben Kinder starben früh. Und auch Emilie wurde nur 37 Jahre alt. Sie starb am am 28. Juli 1863 an einem Herzleiden.

„Not macht erfinderisch. Gemeinsam ist man stark.“ Das Motto des Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen fiel gerade ein der kargen Eifel auf fruchtbaren Boden. Am 16. Dezember 1866 schlossen sich in Antweiler 48 Männer und eine Frau zusammen und gründeten den „Darlehnskassenverein für die Bürgermeisterei Antweiler“. Diese Gründung in einer Zeit, als Frauen noch kein Wahlrecht hatten, gilt als Wurzel der heutigen Volksbank Rhein-Ahr-Eifel.

Eifel galt als "Preußisch Sibirien"

Die Eifel war 1866 eine der wirtschaftlich ärmsten Regionen Deutschlands. Nicht umsonst galt sie als „Preußisch Sibirien“: Arm, verlassen, regenreich und kalt. Auch wenn sich die Bürgerrechte seit der Mitte des Jahrhunderts langsam positiv entwickelten und die Gewerbefreiheit 1861 neue wirtschaftliche Chancen gebracht hatte, war in der Eifel von wirtschaftlicher Aufbruchsstimmung nichts zu spüren.

Stattdessen herrschten Hungersnöte, immer wieder kam es zu neuen Auswanderungswellen. Zu dieser Zeit gab es auf dem Land noch keine Geldinstitute. Private Geldgeber und wucherische Händler trieben ihr Unwesen.

Um Kredite für das Zuchtvieh oder die Saat zu bekommen, mussten die Bauern hohe Zinsen in Kauf nehmen. Zwangsversteigerungen waren nach Missernten an der Tagesordnung. Das war die Zeit, als in Antweiler Pioniere die Bedeutung der sogenannten Vorschussvereine als Selbsthilfeorganisationen erkannten. Das Resultat war die Gründung des Darlehnskassenvereins nach dem Vorbild Raiffeisens.

Diente der Verein in den Anfängen nur der Versorgung seiner Mitglieder mit Krediten, kam drei Jahre später das Spargeschäft hinzu. Wer Sparkonten anlegen oder Kredite haben wollte, musste Mitglied werden. Die Kunden waren also gleichzeitig die Eigentümer ihrer Bank. Aus vielen kleinen Einlagen der Mitglieder ergab sich das dringend benötigte Kapital für Kredite, mit denen in der Eifel investiert werden konnte.

Dass Raiffeisen in Antweiler persönlich mitgemischt hat, ist verbrieft. Dies, als es darum ging, den „Darlehnskassenverein“ auf feste genossenschaftliche Füße zu stellen. Aber das war schon 14 Jahre nach der Gründung, als es darum ging, eine „zielstrebigere und intensivere Arbeit“ umzusetzen, die beste organisatorische Form des Genossenschaftswesens zu finden. Da ging es bei Versammlungen in Nohn, Antweiler und Wershofen – Raiffeisen war im Gasthof Müller in Wershofen abgestiegen – durchaus zur Sache.

So heißt es in einem Brief, den Paul Hilterscheid von seinem Vater mit Datum 14. Dezember 1880 erhielt: „Raiffeisen war die Woche zuvor in Nohn und hatte dort eine Konferenz einberufen. Hier wurde der Stab über den guten alten Verein gebrochen.“ Das passte den Eifelern gar nicht. Sie wollten lieber ihren Großverein, statt drei kleinere Genossenschaften, wie Raiffeisen sie befürwortete.

Ein Advokat wurde eingeschaltet und der Briefeschreiber jubilierte in Kaiserdeutsch: „Der Sieg ist unser.“ Raiffeisen, der eigentlich nur die Beschränkung der einzelnen Vereine auf überschaubare Gebiete im Sinn hatte und dieses – so ist es überliefert – auch schmeichelnd vorzutragen wusste, knickte ein.

Kreissekretär in Mayen. Das muss eine knapp zweijährige Episode im Leben Raiffeisens gewesen sein. Und vor seiner Hochzeit mit Emilie Storck, die er jedoch als Mitarbeiter des Landratsamtes in Winningen kennengelernt haben muss. Denn in einer Verfügung der königlich-preußischen Regierung in Koblenz heißt es unter dem Datum 14. Januar 1845: „Dem kommissarischen Kreissekretär, Zivilsupernumerar Raiffeisen in Mayen wird die kommissarische Verwaltung der Bürgermeisterei Weyerbusch im Kreise Altenkirchen auf unbestimmte Zeit übertragen.“

Raiffeisen hatte Fußprobleme

Dem konnte Raiffeisen nicht stehenden Fußes nachkommen. Denn er hatte Fußprobleme, die landrätlich hochoffiziell unter dem 20. Januar 1845 erfasst wurden. So schreibt er Landrat, „dass Raiffeisen bereits seit 14 Tagen genötigt ist, das Haus zu hüten, indem er an einer – jedoch nicht gefährlichen – Entzündung am Fuße leidet, zu welcher sich gestern ein Fieber gesellt hat. Der Arzt gibt keine Aussicht, dass diese Übel sich in den nächsten acht Tagen behoben sein könnten“.

Es dauerte aber dann doch nur acht Tage. Denn am 28. Januar 1845 meldet der Mayener Landrat nach Koblenz, „dass Herr Raiffeisen von seiner Krankheit wiederhergestellt ist und morgen in seine neue Bestimmung abreisen wird“.

Remagen liegt auf dem Weg nach Weyerbusch, dessen Bürgermeisterstelle finanziell zur Familiengründung reichte. Der Frage nach der Hand der Apothekertochter stand nichts mehr im Weg. Und der Eheschließung im September kein Tand. Denn Raiffeisen verstand es durchaus in seinen Mitmenschen zu lesen, ihre Handlungen zu analysieren und entsprechend selber zu handeln.

Paradebeispiel dafür ist sein Brief an Emilie vom 6. August 1845, sechs Wochen vor der Hochzeit: „Ich hatte bereits ein kostbares Geschenk für Dich bestellt, eine goldene Uhr mit einer goldenen Kette. Da ich jedoch solche Goldsachen als überflüssigen Luxus betrachte und Du, wie ich an Dir bemerkte, auch nichts darauf hältst, habe ich die Sachen wieder abbestellt und mehr auf die Nützlichkeit bei der Auswahl des Geschenks gesehen.“

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