GA-Serie "Rheinische Redensarten" Wäe fröht disch noh däe Uhrzick?

In der Serie „Rheinische Redensarten“ beleuchten wir mit Unterstützung von Dialektsachverständigen bedeutungstiefe Redewendungen.

 Wer fragt Dich nach der Uhrzeit?

Wer fragt Dich nach der Uhrzeit?

Foto: GA-Grafik

Der Rheinländer gilt grundsätzlich als freundlich und integrativ. Gut, er hat halt zuweilen ein überbordend einnehmendes Wesen, aber zwischen Koblenz und Düsseldorf mit weltanschaulichem Zentrum Köln/Bonn sagt man in der Kneipe schnell „Drink doch ene mit“. Dieses Wesensmerkmal leitet sich von seiner großen Toleranz ab, die auf einem ganz besonderen Nährboden gewachsen ist. Denn das Rheinland war seit jeher ein buntes Völkergemisch. Hier waren die Römer und Germanen, die Franzosen und Preußen. Und alle brachten ihre Kultur und Gene mit ein. So ist es gelernte Tradition allem und jedem gegenüber freundlich entgegenzutreten. Nachzuhören ist das in dem Bläck-Fööss-Klassiker „Unsere Stammbaum“.

Aber wie das immer so ist: Wo viel Licht, da ist auch Schatten. Und so haben wir gelegentlich auch mit dem Gegenteil zu tun. Mit grober Abweisung. Wenn es ganz schlimm wird, dann kommt die Redewendung: „Wäe fröht disch noh dä Uhrzick?“ Ins Hochdeutsche übersetzt lautet der Satz vermeintlich unaufdringlich: Wer fragt dich nach der Uhrzeit?

Das Perfide an der Bemerkung ist allerdings ihre voll und ganz niedrigschwellige Heranschwebensweise. Wer nicht so ganz mit dem Dialekt vertraut ist, kann dabei gar nicht ihre Durchschlagskraft ermessen. Ja, es handelt sich tatsächlich um eine Tsunamiwelle, die ganz sacht und seicht heranzuschwappen scheint, sich aber zu einem Meterhohen, todbringenden Brecher aufbäumt.

Die Situation, in der der Satz eingesetzt wird, kann etwa sein: Zwei miteinander vertraute Rheinländer unterhalten sich über allerwichtigste Gesprächsstoffe. Als ein Dritter, weit weniger anerkannter, dazu kommt und sich ins Gespräch einklinken will, kommt die Redensart ins Spiel. Und die wirkt wie ein atomarer Erstschlag, da wächst hinterher kein Gras mehr. Wenn man ehrlich ist, müsste man sie übersetzen mit: Hau ab, niemand interessiert sich für dich, und deine Meinung ist uns schnurzpiepegal.

Ja, so kann der Rheinländer auch sein, wenn ihm eine bestimmt Nase nicht passt. Dann nimmt er keinerlei Rücksicht auf seinen Mitmenschen, denn wie immer es auch sei: Der Diplomatenkoffer ist ihm fremd.

Haben auch Sie einen rheinischen Lieblingsspruch, dann mailen Sie ihn uns unter rheinisch@ga.de. Die „Rheinischen Redensarten“ aus der wöchentlichen Kolumnenserie des General-Anzeigers sind als Buch erschienen und in den GA-Geschäftsstellen und im Handel zu haben. Das gedruckte Werk hat die Edition Lempertz verlegt, ISBN: 978-3-96058-211-3, es kostet 9,99 Euro.

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