Methanausstoß Wiederkäuer - Reaktoren auf vier Beinen

Rund 3,6 Milliarden Rinder, Schafe, Büffel und Ziegen heizen die Erde auf: Die Fleischproduktion verursacht eine höhere Methanemission als der Verkehr.

Auf dem Globus wachsen und vermehren sich manche Dinge beziehungsweise Lebewesen stärker als mit der ökologischen Balance des Planeten vereinbar. Die Zahl der Autos, die Zahl der Menschen - wer wüsste es nicht: zu viele.

Dass auch der gestiegene Fleischkonsum der Moderne in vielfacher Hinsicht - Klima, Wasserversorgung, Bodenerosion - zu einem Weltproblem wird, kursiert seit Jahrzehnten in Öffentlichkeit und Medien.

Wie sehr das Problem aber bereits eine kritische Dimension erreicht hat, verdeutlichte nichts mehr als der 2006 veröffentlichte UN-Forschungsreport "Der lange Schatten der Viehzucht" (Livestock's Long Shadow) der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) in Rom: Bereits vor acht Jahren übertrafen die klimaschädlichen Emissionen aus der Viehzucht um fünf Prozent die aus dem weltweiten Transportsektor (Autos, Bahnen, Schiffe, Flugzeuge).

Die rund 3,6 Milliarden Wiederkäuer - Rinder, Büffel, Ziegen, Schafe - sind das Kardinalproblem, denn jedes Tier ist ein Methan-Mini-Reaktor: Ein abgemagertes Sahelrind "pupst" 70 Liter Methan pro Tag in die Lufthülle, ein Prachtexemplar auf der schleswig-holsteinischen Weide bringt es dagegen auf bis zu 250 Liter pro Tag. Ein Methan-Molekül erwärmt die Erdatmosphäre dabei so stark wie 23 Kohlendioxid-Moleküle.

Die Forschung ist nicht untätig, die Methanblähungen zu bremsen, sei es mit Pillen, Impfstoffen oder speziellen Futtermixturen. Einfach ist das nicht, denn was sich in der komplexen Gärkammer einer Kuh, besiedelt von rund sechs Kilo Bakterien, abspielt, ist das Ergebnis eines über Jahrmillionen optimierten Verdauungsprozesses.

Eingriffe in mikrobielle Ökosysteme, die man nicht durchschaut, sind risikoreich. Andere Ansätze bringen neue Probleme: Verfüttertes Kokosfett verringert zwar den Methanausstoß und schmeckt sogar der Kuh, aber ein verstärkter Kokosfett-Einsatz im Trog würde das Fleisch erheblich verteuern. Und mehr mit Tanninen durchsetztes Futter lehnt die Kreatur ab - zu bitter.

Dazu der Faktor Lachgas (Distickstoffoxid): Ein immer größerer Anteil des Weltackers dient dem Anbau von Futter für die Mastställe des Planeten. Für reiche Ernten rieselt immer mehr Kunstdünger ins Erdreich. Der legale Dopingeinsatz steigerte sich allein zwischen 1940 und 1990 um 3000 Prozent. Am Ende steht eine hochwirksame Lachgas-Emission. Ein Distickstoff-Molekül wirkt wie 296 Kohlendioxid-Moleküle.

Vor dem Hintergrund, dass die Weltbevölkerung seit 1950 um etwa das 2,8-Fache wuchs und der Fleischkonsum um das 5,1-Fache, wird ein zentraler Satz im 400-seitigen FAO-Report nachvollziehbar: "Bei den schwersten Umweltproblemen gehört die Viehzucht jeweils zu den wichtigsten zwei oder drei Faktoren."

Ob Bodenverluste durch Überweidung infolge zu großer Herden, Rückgang der Artenvielfalt, Klimawandel, Luftverschmutzung oder Wassernot und -verschmutzung: Immer führe die Spur zur Fleischproduktion. Inzwischen verursache sie 18 Prozent der klimaschädlichen Weltemission (Verkehr: 13 Prozent).

Professor Harald von Witzke, Agrarökonom an der Berliner Humboldt-Universität, hat im Rahmen einer WWF-Studie einmal ausgerechnet: Es mache von der Treibhausgaswirkung her keinen Unterschied, ob jemand sich privat eine Kuh mit ihren Methanrülpsern im Stall halte oder pro Jahr 18 000 Kilometer mit dem CO2 ausstoßenden Auto fahre.

Andere Studien und Experimente förderten Überraschendes zutage: Wird etwa Getreide statt Gras und Heu verfüttert, verringert sich das Methanabgas einer Kuh um ein Drittel - ein Ergebnis, das die Welternährungslage nicht entspannen würde. Demnach wäre die Turbo-Kuh im Stall zumindest beim Klimaschutz die Öko-Kuh.

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