Wärmedämmung Dämmung und Brandschutz sind keine Gegensätze

BONN · Lars Klitzke von der Bonner Energie Agentur sieht nach dem Hochhausbrand in London keinen Grund, beim Dämmen umzudenken

Herr Klitzke, muss das Thema „Brandschutz und Dämmung“ nach dem Unglück in London überdacht werden?

Lars Klitzke: Grundsätzlich müssen die Anforderungen an den baulichen Brandschutz erfüllt werden. Wir haben in Deutschland erhöhte Anforderungen an Sonderbauten wie Hochhäuser. Hier ist eine interdisziplinäre, ingenieurgemäße Fachplanung aller Beteiligten notwendig.

Befürchten Sie infolge des Brandes erneut ein abnehmendes Interesse an Wärmedämmung?

Klitzke: Leider ja. Derzeit reichen leider einfache plakative und populistische Schlagzeilen, um die Bevölkerung zusätzlich zu verunsichern. Es werden Ressentiments geschürt beziehungsweise vorhandene gefestigt. Dies zeigt sich besonders beim Hochhausbrand in London. Von den sogenannten Experten wurde schnell die verwendete Dämmung als Mit-Hauptursache ausfindig gemacht. Diese hat jedoch nach jetzigem Kenntnisstand gar keine Bewandtnis im Schadensmechanismus. Es liegt jetzt an uns allen, den geschürten Vorurteilen konstruktiv und fachlich fundiert entgegen zu wirken, um die politisch und gesellschaftlich gewollte Energiewende erfolgreich umzusetzen.

Wie kam es zu den Vorurteilen?

Klitzke: Zum einen sind es Klima- oder Dämmskeptiker, aber leider auch die sogenannten Experten, die mit Halbwissen voreilig ihre Meinung kundtun, ohne fundierte Kenntnisse zu besitzen. Dies erleben wir derzeit in vielen Bereichen und leider auch vermehrt bei Energie, Umwelt- und Klimaschutz und deren begleitenden Thematiken. Insbesondere beim Thema Dämmung kommen immer wieder Ressentiments auf, die teilweise jeglicher Grundlage widersprechen und auf Halbwissen basieren. Dabei lässt sich vieles physikalisch erklären. Als Bauphysiker habe ich schon früh gelernt, dass mit der Physik keine Konsensgespräche zu führen sind. Auf dieser Basis versuchen wir auch tagtäglich bei der BEA aufzuklären und umfassend zu beraten.

Warum konnte sich der Brand in London so katastrophal ausbreiten?

Klitzke: Nach jetzigem Kenntnisstand war die vorgehängte, hinterlüftete Fassade aus Aluminium-Verbundplatten mitursächlich für die verheerende Ausbreitung der Flammen. Hinter der brennenden Fassadenbekleidung war zwar auf der Fassade ein Dämmstoff aus Pulyisocyanurat (PIR) angebracht. Wie man auf den Pressebildern erkennen kann, ist dieser aber auch nach dem Brand zum großen Teil noch erhalten. Die Ausführungsdetails zeigen, dass das häufig in der Presse genannte Polystyrol in London gar nicht verbaut war.

Welche Schlüsse können Eigenheimbesitzer daraus ziehen?

Klitzke: Grundsätzlich helfen solche Schadensfälle zu sensibilisieren und zu informieren. Direkt hat der Brandfall in London keine tiefergehenden Lehren für den Ein- und Mehrfamilienhaus-besitzer. Wir haben in Deutschland etwa 180 000 Brandfälle pro Jahr und davon zirka vier mit WDVS, das sind gerademal 0,0025 Prozent. Brennbare Dämm- und Baustoffe erhöhen nicht die Anzahl der Brände. Diese haben stets einen jeweils eigenen Brandverlauf. 95 Prozent der Brände bei einem Einfamilienhaus sind Zimmerbrände, und die erzeugen ganz andere Problematiken.

Welche Regeln sollte ein Hausbesitzer beachten, damit es bei einer Hausdämmung keine Konflikte mit dem Brandschutz gibt?

Klitzke: Zum einen sollte er sich Gedanken über die Auswahl des Dämmstoffes machen. Hier stehen ihm eine Bandbreite von verschiedensten Dämmstoffen konventioneller Art – wie Steinwolle und Mineralwolle – und auch aus der Palette der nachwachsenden Rohstoffe wie Holzweichfasern zur Verfügung. Die Materialien können mit guten Brandschutzanforderungen überzeugen. Zum anderen muss sich ein Immobilienbesitzer auch Gedanken über die Ausführung machen, am besten gemeinsam mit einem Fachmann. Die qualitätsbewusste Ausführung ist mitentscheidend für eine nachhaltig funktionierende Dämmstoffebene im komplexen Organismus „Gebäude“. Außenwanddämmungen sind grundsätzlich nur als komplettes System vom Hersteller geprüft und zugelassen.

Kommen die vielgescholtenen Polystyrol-Produkte weiter als Dämmstoffe in Betracht?

Klitzke: Vermutlich ja. Vor allem bei kostengetriebenen Projekten werden diese Dämmstoffe weiter gehäuft eingesetzt. Was grundsätzlich auch nicht zu beanstanden ist, da es sich um bauaufsichtlich zugelassene Produkte handelt und sie einen entscheidenden Anteil an einer erfolgreichen Energiewende haben. Ohne energetische Sanierung der Bestandsgebäude ist diese Wende nicht erfolgreich umzusetzen. Die größten Flächen am Gebäude sind in der Regel die Außenwände und das Dach. Dort entstehen auch die größten Wärmeverluste; durch Wärmedämmung kann man dort viel Energie einsparen.

Und wie kommt es zur Entscheidung für einen bestimmten Dämmstoff?

Klitzke: Die Art des Dämmstoffs entscheidet sich dann häufig durch gesetzliche, bau- und brandschutztechnische Anforderungen sowie den Gesamtpreis und die Präferenz des beratenden Fachmanns. Bauherren dürfen gerne vermehrt nach Dämmstoffen aus nachwachsenden Dämmstoffen fragen und sich unter anderem bei der Bonner Energie Agentur informieren.

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