Virtueller Zoobesuch - Methoden der Demenzforschung

Magdeburg · Demenz. Ein Begriff für das Vergessen. 1,5 Millionen Betroffene leben in Deutschland, viele haben Alzheimer. Forscher stellt die Krankheit vor große Herausforderungen. Kann man ihr vorbeugen?

Elfriede Jenke geht durch einen Zoo. Über Wege, Kreuzungen und an Häusern, Büschen und Bäumen vorbei. Mit exakt vier Kilometern pro Stunde durchquert die Rentnerin den Tierpark - ohne jegliche Geräusche. Die 67-jährige Magdeburgerin geht durch eine virtuelle Welt. Sie bewegt sich auf einem Laufband, wie man es aus Fitnessstudios kennt. Nicht aus Spaß, sondern für die Forschung. In der unteren, rechten Ecke vor ihr auf der Wand prangt groß ein Giraffen-Bild. Der Langhals muss gefunden werden. Hat die Seniorin das geschafft, muss sie noch den Löwen aufspüren.

Jenke ist Probandin für eine Studie am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Magdeburg. Die Forscher wollen herausfinden, inwieweit gezieltes Training, wie etwa das des räumlichen Orientierungsvermögens, Alzheimer und andere Demenzkrankheiten vorbeugen kann. "Bin ich da nicht eben schon mal lang?", fragt Jenke, die völlig gesund ist. In der Hand hält sie einen Controller, mit dem sie sich durch den animierten Zoo navigiert. "Wir müssen weiter an den Rand. Wir sind zu weit weg", sagt Christin Ruß. Die medizinisch-technische Assistentin für Funktionsdiagnostik hat alles im Blick. Ein Computer zeichnet Jenkes Laufwege durch den Tierpark auf - für die Auswertung.

"Gehirnregionen, die für die Orientierung im Raum verantwortlich sind, sind meist recht früh von Alzheimer betroffen", sagt Thomas Wolbers im Vorfeld des Welt-Alzheimertages (21. September). Er leitet im DZNE Magdeburg die Arbeitsgruppe Alterung und Kognition. "Oft sind da schon Jahre Prozesse im Gange. Lange, bevor eine Demenz diagnostiziert wird." Ziel des Zoo-Rundgangs: Frühstmöglich erkennen, ob ein als gesund geltender Mensch nicht doch schon Orientierungsprobleme hat, die auf Demenz schließen lassen. "Therapien könnten dann viel früher ansetzen", sagt der 44-Jährige. Und ergänzt: "Die Orientierung ist in der Alters- und Demenzforschung bisher vernachlässigt worden."

Wer sein Auto auf dem Parkplatz nicht mehr wiederfindet oder von der Bushaltestelle nicht mehr zurück nach Hause kommt, der ist als älterer Mensch erheblich verunsichert und oft sozial isoliert. Der Betroffene igelt sich zu Hause ein und bewegt sich nur noch wenig. "Dabei begünstigen Gehen und Laufen doch das Gedächtnis", sagt Rentnerin Jenke, die sich mit einem Handtuch kleine Schweißperlen von der Stirn tupft. Die Giraffe hat sie längst gefunden, den Löwen auch. Feierabend für heute.

Deutschlandweit gibt es derzeit rund 1,5 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen, viele haben Alzheimer. Pro Jahr werden etwa 300 000 Neuerkrankungen diagnostiziert. Demenz ist ein Sammelbegriff für viele Krankheiten, die für gewöhnlich in einem Alter jenseits der 65 auftreten. Gemeinsam ist ihnen der fortschreitende Untergang von Nervenzellen im Gehirn. Geistige Fähigkeiten, Sprache und Motorik lassen nach, die Betroffenen können den Alltag bald nicht mehr bewältigen. Die Ursachen sind noch weitgehend unbekannt.

Beim Neurologen Notger Müller wird für die Demenzforschung getanzt. In Reihen, Linien und perfekt choreographiert zu Country-Musik. Line-Dance mit gesunden Älteren betreibt Müller, genau wie Kollege Wolbers, für eine Präventionsstudie. Es geht um Mobilität, Steuerung und darum, sich etwas merken zu können. "Die Wirksamkeit ist belegt", sagt der 47-Jährige. "Wer regelmäßig tanzt, bei dem ist eine Volumenzunahme im Gehirn nachweisbar." Das hätten Tests im Kernspintomographen, kurz MRT, ergeben. "Gesunde Senioren können sich durch das Tanzen also bis zu einem gewissen Maß vor demenziellen Veränderungen schützen", sagt Müller. Es ist wie Gehirnjogging, nur viel näher dran am Alltag.

Ein Jahr lang tanzten 120 Senioren immer wieder Line-Dance, nach sechs Monaten gab es erste Ergebnisse. Für die Tanz-Studie haben Müller und sein Team mit Sportwissenschaftlern der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität zusammengearbeitet. Die stellten eine Vergleichsgruppe zur Verfügung. Eine, die regelmäßig Nordic-Walking betreibt, also Ausdauersport. "Die Volumenzunahme im Gehirn war bei den Tänzern deutlicher als bei den Walkern", erläutert Müller. "Für alles Weitere müssen wir die Feinauswertung abwarten."

Das DZNE hat seit 2009 einen Standort in Magdeburg, seit diesem Jahr wird in einem hochmodernen Forschungsgebäude auf dem Gelände des Universitätsklinikums gearbeitet. In der Alters- und Demenzforschung laufen Müller zufolge immer etwa ein Dutzend Studien parallel, die auch mal über Aufrufe in den lokalen Medien mit passenden Probanden besetzt werden.

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DZNE Magdeburg

Das DZNEDas Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, kurz DZNE, hat sich der Alters- und Demenzforschung verschrieben. Es ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung mit neun Standorten im gesamten Bundesgebiet. Sie widmen sich jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten. Das DZNE ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und das nach eigenen Angaben erste von insgesamt sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG), die von der Bundesregierung für die Bekämpfung der wichtigsten Volkskrankheiten, zu der auch Demenz gehört, eingerichtet wurden.

Das DZNE hat etwa 800 Mitarbeiter, der Hauptsitz ist Bonn. Es wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom dem Bundesland finanziert, in dem sich der Standort befindet. Geforscht wird in mehr als 70 Arbeitsgruppen an Menschen und Tieren.

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