Opfer von Ärztepfusch - Wenn Mediziner Fehler machen

Frankfurt/Main · Eine falsche Diagnose oder eine schief gelaufene OP - Auch Ärzte machen Fehler. Für Patienten kann das dramatische Folgen haben. Im juristischen Kampf um Entschädigung müssen Opfer von Ärztepfusch oft einen langen Atem beweisen.

 Die Gesamtzahl der Behandlungsfehler lässt sich nur schätzen. Die Annahmen reichen von 40 000 bis 170 000 Fällen pro Jahr. Foto: Oliver Berg

Die Gesamtzahl der Behandlungsfehler lässt sich nur schätzen. Die Annahmen reichen von 40 000 bis 170 000 Fällen pro Jahr. Foto: Oliver Berg

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Als Maike Schmidt eines Abends vom Fernsehsessel aufsteht, ist plötzlich ihr rechter Fuß gelähmt. Sofort bringt ihr Mann sie zum ärztlichen Notdienst. Könnte das ein Schlaganfall sein? Dann zählt jede Minute. Doch die Ärztin schickt sie nach kurzer Untersuchung wieder nach Hause - mit dem Tipp, sich einfach einen Tee zu kochen und einen Film zu schauen. Ein Fehler mit fatalen Folgen. Zwei Tage später kippt Schmidt im Bad um. In der Klinik wird schnell klar: Das war ein Schlaganfall.

Hätte die erste Ärztin richtig gehandelt, dann wären die Chancen für eine Genesung der heute 61-Jährigen aus dem Rhein-Main-Gebiet deutlich besser gewesen. Das hat auch ein Gericht so gesehen und der Patientin 150 000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz zugesprochen.

Ein Behandlungsfehler von vielen: Die Gesamtzahl in der Branche lässt sich laut Bundesgesundheitsministerium nur schätzen. Die Annahmen reichen von 40 000 bis 170 000 Fällen pro Jahr. Nur ein kleiner Teil davon landet vor Gericht. Vermuten Patienten, dass der Arzt einen Fehler gemacht hat, können sie sich zunächst an Schlichtungsstellen der Landesärztekammern wenden. 2013 wurden dort knapp 8000 Fälle aktenkundig, wie die Ärztevereinigung Hartmannbund erklärt. 1860 Mal sei ein Behandlungsfehler ermittelt worden, der einen Anspruch auf Entschädigung begründet habe.

"Für den Betroffenen ist jeder Einzelfall tragisch", betont der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt. "Wenn Sie allerdings die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte tagtäglich nehmen und diese in Relation setzen zu den Behandlungsfehlern, dann ist das schon ein sehr überschaubarer Bereich."

Die Frankfurter Anwältin Michaela Bürgle hat sich auf Arzthaftungsklagen spezialisiert. Sie hat in den vergangenen rund zehn Jahren beobachtet, dass bei einigen Patienten "ein gewisses Anspruchsdenken" zugenommen hat. "Ich muss auch welche abweisen, die sind nur unzufrieden mit der Art der Behandlung." Der Arzt schulde ja seinem Patienten keinen Erfolg der Therapie. Die Menschen, die sich mit einem ernsthaften Verdacht bei ihr meldeten, seien allerdings teils traumatisiert, ihr Vertrauen zu Ärzten sei schwer erschüttert.

Joachim Köster hatte eine monatelange Leidensgeschichte hinter sich, bevor er gegen einen Arzt vor Gericht zog - und 6000 Euro erstritt. Der 53 Jahre alte Feuerwehrmann aus dem Nordschwarzwald ließ sich wegen neurologischer Probleme an der Hand operieren. Doch statt der erhofften Linderung erlitt er schlimme Schmerzen. "Ich konnte die rechte Hand kaum noch benutzen, hatte kein Gefühl mehr in den Fingern", erzählt er.

Als Köster der "Das wird schon"-Beschwichtigung seines Arztes nicht mehr glaubt, geht er zu einem anderen Mediziner. Nach einer erneuten OP wird klar, dass der erste Eingriff schief gelaufen war. Vor Gericht entschuldigt sich ein Anwalt im Namen des ersten Arztes. "Das war für mich das Wichtigste", sagt Köster. Der Mann sollte zu seinem Fehler stehen.

"Das Urteil ist eine Art Trost, auch wenn es mir meine Gesundheit nicht zurückgibt", sagt Maike Schmidt. "Das Geld macht vieles im Leben leichter." Die 61-Jährige ist früher gerne Bergwandern gegangen, organisierte Hilfstransporte nach Rumänien und Russland, war beruflich in vielen Ländern unterwegs. Seit dem Schlaganfall kann sie ihre linke Hand kaum benutzen, das Laufen fällt schwer.

Aber Maike Schmidt gibt nicht auf, sie kämpft um jeden Schritt. Einen vier Kilometer langen Spaziergang schafft sie inzwischen - auf Asphalt und mit Pausen. "Wenn das Wetter schlecht ist, gehe ich auf mein Laufband", erzählt sie. Großen Rückhalt bekomme sie in der Familie. "Sogar meine sechsjährige Enkelin sagt oft: "Komm Oma, wir machen Therapie"."

Direkt entschuldigt hat sich die Ärztin nicht bei Maike Schmidt. "Das war mir auch nicht wichtig", sagt die 61-Jährige. Mit Medizinern und Kliniken als Gegenpartei macht Anwältin Bürgle nach eigenen Worten insgesamt eher schlechte Erfahrungen. "Es scheint zu dieser Berufsgruppe zu gehören, uneinsichtig zu sein." Prozesse werden nach der Einschätzung der Anwältin oft bewusst verschleppt.

Auch Köster berichtet, er habe teils wochenlang auf eine Antwort der Versicherung gewartet. Der Feuerwehrmann konnte vier Wochen nach der zweiten OP wieder arbeiten, hat inzwischen nur noch minimalste Einschränkungen. "Damit kann ich gut leben", sagt er.

Teure Fälle von ÄrztepfuschOktober 2014

Drei Jahre nach einem folgenschweren Fehler in einer Mainzer Schönheitsklinik bekommt eine Patientin 1,5 Millionen Euro Schadenersatz. Darauf einigen sich die Parteien vor dem Landgericht. Die Patientin war im Juni 2011 ins Koma gefallen, weil ihr eine Studentin als Nachtwache fälschlicherweise ein Narkosemittel verabreichte. Das Gericht entschied, dass die Klinik, ein Arzt und die Medizinstudentin für das Versehen haften müssen.

Juni 2014

Zehn Jahre nach einem Ärztefehler einigen sich die pflegebedürftige Patientin und die Versicherung der Klinik vor dem Oberlandesgericht Hamm auf die Zahlung einer monatlichen Rente von 8000 Euro. Außerdem erhält die Geschädigte Schadenersatz über 341 000 Euro und zusätzlich zu einem bereits gezahlten Schmerzensgeld von 250 000 Euro nochmals 150 000 Euro. Das Opfer lag Ende 2004 nach einer Hals-Operation vier Monate im Koma und ist auf Pflege angewiesen. Nach Sauerstoff-Mangel kam es zu einer Hirnschädigung.

Januar 2013

Für gravierende Ärztefehler während einer Geburt spricht das Bonner Landgericht einem 2008 geborenen, schwerbehinderten Jungen einen Anspruch auf Schadenersatz in Millionenhöhe zu. Eine Klinik im Bonner Raum und zwei Klinikärzte werden zur Zahlung von 400 000 Euro Schmerzensgeld an den Patienten verurteilt. Zudem haften sie für sämtliche Schäden, die bei dem Kind wegen der Behinderung im Lauf seines Lebens entstehen werden. Dies geht voraussichtlich in die Millionen.

Die Ärzte hatten bei der Geburt des Kindes der Mutter ein Wehenbeschleunigungsmittel verabreicht, das laut Gericht in keinem Fall hätte gegeben werden dürfen. Als die Herztöne schwächer wurden, hätten die Ärzte zu lange mit einer Not-OP gezögert. Das Kind erlitt irreparable Hirnschäden.

Februar 2012

Nach einer fehlgeschlagenen Operation bekommt ein junger Mann 2,8 Millionen Euro. Darauf einigen sich die Familie des Mannes und ein Erfurter Klinikum. Darin enthalten sind 500 000 Euro Schmerzensgeld. Der Schüler war laut Landgericht im Oktober 2005 am Mittelohr operiert worden und hatte dabei einen Herzstillstand erlitten. Wegen eines schweren Hirnschadens war er seitdem zu 100 Prozent behindert.

Oktober 2006

Für einen folgenschweren Behandlungsfehler nach der Operation eines Münchner Managers erhält dessen Familie fünf Millionen Euro Schadenersatz. Das ergab ein Vergleich vor dem Landgericht München 1. Als der Mann nach dem Eingriff im Rachenraum von den Beatmungs- und Überwachungsgeräten abgehängt wurde, kam es nach Angaben seiner Rechtsanwälte zu einem Erstickungsanfall. Der Patient blieb rund 15 Minuten ohne Sauerstoff, so dass sein Gehirn irreversibel geschädigt wurde und er ins Wachkoma fiel.

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