Interview zu Naturheilkunde "Ein Mensch, der essen kann, hat alles"

Naturheilkunde, Komplementärmedizin,Homöopathie, Alternativmedizin: Patienten werden mit vielen Behandlungsmethoden konfrontiert. Moritz Rosenkranz befragte Professor Josef Beuth darüber, welche davon sinnvoll sein können.

 Pflanzentherapien, etwa mit Löwenzahn, spielen in der Naturheilkunde eine Rolle. Diese kann bei Krebspatienten die Lebensqualität zum Teil deutlich verbessern.

Pflanzentherapien, etwa mit Löwenzahn, spielen in der Naturheilkunde eine Rolle. Diese kann bei Krebspatienten die Lebensqualität zum Teil deutlich verbessern.

Foto: picture-alliance/ dpa

Herr Beuth, was machen Sie hier genau?

Professor Josef Beuth: Wir sind zunächst integriert in die Lehre. Alle Medizinstudenten müssen Naturheilkunde lernen. Zudem haben wir ein Labor für die Forschung. Hinzu kommt die Patientenversorgung am Zentrum für integrierte Onkologie, in dem ich die Komplementärmedizin vertrete.

Naturheilkunde, Komplementärmedizin, Alternativmedizin – wo liegen die Unterschiede?

Beuth: Naturheilkunde ist ein Name, der an der Universität gebraucht wird. Das Fach umfasst Bewegung, Ernährung, physikalische Methoden oder Pflanzentherapien. Derselbe Bereich heißt bei den Ärztekammern und Krebsgesellschaften Komplementärmedizin. Bei beiden ist es wichtig, dass die Verfahren ergänzend zur Therapie angewandt werden und nach wissenschaftlichen Standards, also durch Studien, getestet sind. Davon strikt abtrennen muss man die Alternativmedizin. Diese sagt beispielsweise beim Thema Krebs: „Es gibt zwar viele Therapien, die bringen aber alle nichts. Also kann man ja mal eine andere Methodik ausprobieren.“ Das Problem dabei ist, dass es für manche Krebsarten sehr wohl richtig gute Therapien gibt. Brustkrebs etwa wird zu 90 Prozent mit Heilerfolg behandelt. Aber nur, wenn man zur richtigen Zeit mit der richtigen Methodik rangeht. Wenn man zunächst über Monate oder Jahre mit sogenannten sanften oder alternativen Methoden zu behandeln versucht, geht das Tumorwachstum weiter.

Wie weisen Sie denn wissenschaftlich nach, dass Naturheilkundeverfahren wirksam sind?

Beuth: Bei Brust- oder Prostatakrebs beispielsweise sind Hormone ein Wachstumsfaktor für Krebszellen. Nach erfolgreicher Operation oder Chemo-therapie ist derzeit das Mittel der Wahl, diese Hormone zu dämpfen, um den Krebszellen das Wachstum unmöglich zu machen. Dabei treten häufig Nebenwirkungen wie trockene Schleimhäute oder Gelenkschmerzen auf. Wir haben dann nach Tests im Labor etwa 2000 Patienten in einer Studie komplementär mit einem Mittel behandelt, in dem auch ein Linsenextrakt enthalten war, von dem wir uns Besserung erhofft hatten, denn in diesem sind Stoffe, die die Schleimhaut aktivieren, wieder Flüssigkeit freizusetzen. Auch die Gelenkschmiere kommt wieder. Diese im Labor beobachtete Wirkung haben wir in der Studie nachgewiesen – in 85 Prozent der Fälle hat das Extrakt gewirkt.

Omas Hausapotheke kann also bei gewissen Nebenwirkungen helfen?

Beuth: Absolut. Mit Ingwer beispielsweise kann man das häufige Erbrechen bei Krebspatienten oder auch Schwangeren oft in den Griff bekommen, auch das wurde in Studien nachgewiesen.

Wie arbeitet dagegen die sogenannte Alternativmedizin?

Beuth: Es wird oft behauptet, die Therapien mit Medikamenten seien von der Industrie gesteuert, die nicht möchte, dass sehr harmlose und einfache Verfahren angewendet werden. Daher wird die Schulmedizin bekämpft.

Ein Argument, das immer wieder an-geführt wird, lautet: Wer heilt, hat recht. Heilt die Alternativmedizin?

Beuth: Das ist noch nie nachgewiesen worden. Es gibt Einzelfälle, deren Zustand sich verbessert, aber da muss man nach den Gründen fragen. Es gibt bei Menschen auch sogenannte Spontan-remissionen, also spontane Heilungen. Das Problem bei der alternativen Medizin ist zudem, dass ein positiver Fall an die große Glocke gehangen und auf Millionen Patienten übertragen wird. Das geht aber nicht, weil jeder Patient individuell betrachtet werden muss.

In einer „arte“-Dokumentation, in der Sie mitwirken, hat ein Schauspieler vor-gegeben, Krebs zu haben, und ist zu Alternativmedizinern in ganz Deutschland gegangen. Alle haben ihm von der schulmedizinischen Therapie abgeraten und stattdessen Dinge wie Kaffee-Einläufe oder Homöopathika empfohlen. Ist das nicht unterlassene Hilfeleistung?

Beuth: Im Prinzip ja, denn er wäre bei allen Ansätzen gestorben. Allerdings gilt in Deutschland ja die Therapiefreiheit, das ist ein hohes Gut. Allerdings öffnet das auch Tür und Tor für Scharlatane, denn alle diese Ansätze müssen privat finanziert werden von den Patienten. Man könnte ihnen auch Straßendreck verabreichen und Heilung versprechen. Solange man einen Privatvertrag abschließt, ist man aus der Haftung raus.

Was treibt Menschen dahin, dennoch solche Methoden auszuprobieren?

Beuth: Im Internet versprechen „Wunderheiler“ fantastische Sachen. Und man muss immer bedenken: Schwer kranke Patienten haben Angst und sind bereit, vieles zu machen. Das ist sehr menschlich, aber ein Problem, gerade bei schwer therapierbaren Krankheiten wie Leber- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Wie bewerten Sie die Homöopathie?

Beuth: Sie gehört nicht zur klassischen Naturheilkunde, sondern ist ein eigenes Fach. Ein Homöopathikum unter dem Aspekt angewandt, die eine oder andere Nebenwirkung zu lindern – da kann man nichts gegen haben, denn vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist Homöopathie unbedenklich, weil kein Molekül der Wirksubstanz enthalten ist. Zudem ist sie, im Gegensatz zu vielen alter-nativen Mitteln und Methoden, preiswert. Vergessen darf man auch nicht, dass es in 30 bis 40 Prozent der Fälle zu einem Placebo-Effekt kommt – und das sollte man mit einer unbedenklichen und günstigen Maßnahme ausnutzen. Allerdings darf Homöopathie nicht an-gewandt werden, um etwa Krebs zu heilen. Das wäre reine Scharlatanerie.

Ist es also richtig, dass einige Krankenkassen die Behandlung mit homöopathischen Mitteln übernehmen?

Beuth: Warum nicht? Ein Beispiel: Eine Chemotherapie kostet über ein Jahr rund 100 000 Euro und führt oft zu massiven Nebenwirkungen. Wenn man diese durch ein Mittel eindämmen kann, das vielleicht 100 Euro kostet, finde ich das minimal gering. Die Kassen werden da sehr genau rechnen und vielleicht wissen, dass sie möglicherweise an anderen Stellen viel sparen.

In Apotheken gibt es zahlreiche Vitaminpräparate und ähnliches, die teilweise sehr teuer sind. Zu recht?

Beuth: Ich rate davon komplett ab. Ein Mensch, der essen kann, hat alles. Wer Obst, Gemüse und Getreide zu sich nimmt, braucht keine Pillen, weil er alle Vitamine und Spurenelemente über die tägliche Nahrung aufnimmt. Die meisten dieser Pillen sind falsch zusammengesetzt und in manchen sind krebserregende Substanzen enthalten. Allerdings muss man differenzieren: Als Krebspatient mit kaputter Schleimhaut können Sie Obst und Getreide nicht essen, weil es wehtut. In solchen Fällen droht ein Mangel und man muss nachhelfen.

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