Was können Angehörige tun? Pflegeexperte: Sexuelle Übergriffe im Heim ansprechen

Stuttgart · Senioren- und Pflegeheime sollten nach Überzeugung des Pflegewissenschaftlers Johannes Nau offensiv mit den Themen sexuelle Übergriffe und Gewalt umgehen.

 Eine ältere Frau geht mit einem Rollator über einen Flur eines Pflegeheims. Foto: Jens Büttner/zb/dpa

Eine ältere Frau geht mit einem Rollator über einen Flur eines Pflegeheims. Foto: Jens Büttner/zb/dpa

Foto: Jens Büttner

„Alle Heime brauchen ein Schutzkonzept, klare Regeln und Fortbildung für ihre Mitarbeiter, so dass Exzesse wie der in Ulm verhandelte mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Zahlen zu dem schambehafteten Thema gebe es nicht. „Nur ein Bruchteil der Fälle wird überhaupt bekannt. Wir müssen das Thema aus der Tabu-Ecke rausholen.“

Das Urteil

Das Landgericht Ulm hat eine Altenpflegerin wegen sexuellen Missbrauchs demenzkranker Frauen zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Angeklagte wurde unter anderem der Vergewaltigung in einem Fall und der sexuellen Nötigung schuldig gesprochen. Der Vorsitzende Richter sah es als erwiesen an, dass die 47-Jährige zudem Fotos und Videos ihrer Taten für einen Bekannten gemacht hatte. Sie habe ihm auch in weiteren Fällen Fotos und Videos nackter Heimbewohner geschickt.

Die Opfer

Diplom-Pflegepädagoge Nau betont, nicht nur Heimbewohner seien Opfer von Gewalt. Ein Viertel bis ein Drittel des Personals sei mindestens einmal im Berufsleben betroffen von körperlichen Übergriffen seitens alter Menschen oder deren Angehörigen.

Heimträger, die von sich aus das Thema Gewalt gegen Bewohner angingen, setzten sich schnell dem Verdacht aus, es gebe dort Probleme, sagte Nau. Deshalb müssten Land oder Bund Auflagen für einen adäquaten Umgang mit dem Thema und eine angemessene Aufarbeitung von Übergriffen erlassen. „Dann hat kein Heim den Schwarzen Peter.“

Respektvoller Umgang ist das Maß aller Dinge

Die Heimleitungen müssten ihre Haltung gegenüber Übergriffen und sexueller Belästigung öffentlich vertreten und klarmachen, dass solches Verhalten absolut inakzeptabel sei. Respektvoller Umgang müsse das Maß aller Dinge sein. Das Personal sollte in der Lage sein, Wahrnehmungen wie unerklärliche blaue Flecken beim Bewohner anzusprechen und diesen zu ermuntern, seine Scham zu überwinden.

Spreche ein Pflegender im Team schlecht über Bewohner, müsse er sofort in die Schranken gewiesen und das dahinter stehende Problem gelöst werden. Beispiel: Ein Pflegender beschwert sich darüber, dass sich eine bettlägerige Bewohnerin bei der Umlagerung „anstelle“. Das Team dürfe ihn dann nicht in seiner Herablassung bestätigen, sondern fragen, wie die Lagerung weniger schmerzhaft verlaufen könne.

Entsprechende Fortbildungen könnten Pflegende dafür sensibilisieren, sagte Nau, der Schulleiter des Evangelischen Bildungszentrums für Gesundheitsberufe Stuttgart ist. In die Ausbildung werde das Thema Gewalt in der Pflege erstmals mit dem Rahmenlehrplan 2020 für die neue generalistische Ausbildung für die Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege integriert.

Anlaufstellen für Angehörige bei Problemen in der Pflege

Bei Problemen rund um die Pflege haben Angehörige verschiedene Anlaufstellen. Im ersten Schritt können sie sich an das zuständige Personal wenden, im zweiten an die Pflegekasse. Darauf weist das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) hin.

Darüber hinaus gibt es den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK): Er ist nicht nur für die Begutachtung von Pflegebedürftigen zuständig, sondern zum Beispiel auch für die Qualitätsprüfung von Pflegeheimen.

Dazu gibt es spezielle Aufsichtsbehörden der Länder wie die Heimaufsicht und je nach Wohnort Initiativen von Sozialverbänden, eigene kommunale Beschwerdestellen oder Ombudsleute.

Weitere Tipps und einen Überblick zu Anlaufstellen in ihrer Nähe finden Angehörige auf der Internetseite www.pflege-gewalt.de des ZQP. Es bietet außerdem eine Beratungsdatenbank an.

(dpa)
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