Gesund genießen Die Stars von nebenan

Bonn · „Superfoods“ sind nicht nur Exoten wie Chiasamen und Gojibeeren. Es gibt auch heimische Nährstoffbomben, die ihnen problemlos Konkurrenz machen können.

 Tomaten

Tomaten

Foto: Alexander - Fotolia

Wer heute beim Bäcker ein Körnerbrötchen bestellt, hat gute Chancen, ihnen zu begegnen: den Chiasamen. Denn die Zeiten, in denen sich bevorzugt Kürbiskerne oder Leinsamen darauf befanden, scheinen zumindest vorerst vorbei zu sein. Als kulinarische Hipster in der Gruppe der ohnehin allerorten angesagten Superfoods lassen die Heilsamen der Maya ihre Kollegen derzeit alt aussehen. Leinsamen – das klingt nach verstaubter Vollwertküche, Frischkornbrei und Hatha Yoga in der Volkshochschule. Chiasamen dagegen klingen nach Mexiko und 2016 und scheinen als Super-Superfood per se alles in den Schatten zu stellen, was es hierzulande an Alternativen gibt. Stimmt das?

Bei einem direkten Vergleich der beiden Samenarten in der Zeitschrift Eat Healthy kommt die Ernährungswissenschaftlerin Inga Pfannedecker zu einem gespaltenem Ergebnis. Ja, Chiasamen übertreffen Leinsamen aufgrund eines höheren Anteils an gesunden Fettsäuren und Antioxidantien. Auch sind sie ungeschrotet wirksam und überdies länger haltbar. Aber ist das tatsächlich ein Grund, sie den Leinsamen vorzuziehen, die durch ihren hohen Omega-3-Säuren-Fettanteil beeindrucken und geschrotet die Verdauung hochwirksam fördern? Spätestens wenn man auch noch den niedrigeren Preis der heimischen Samen in die Kalkulation einbezieht, liegt es nahe, sich für diese zu entscheiden.

Während sich die Naturkost-Regale nach wie vor unter der Last der angesagten exotischen Superfoods biegen, die meist getrocknet und bevorzugt in Pulverform angeboten werden, beginnen sich Fachwelt und Konsumenten zu fragen, wie super diese Nahrungsmittel eigentlich sind. Im direkten Vergleich mit etablierten Nährstoffträgern schneiden sie meistens gar nicht so beeindruckend ab, wie man denken könnte. Rote Gojibeeren beispielsweise sind zweifellos gut für die Abwehr. Das sind aber ihre orangefarbenen Kollegen, die Sanddornbeeren, genauso. Und Sanddorn wächst seit jeher auch in Deutschland, besonders an den Küsten von Nord- und Ostsee. Deshalb sind seine Beeren dort oft sogar frisch und ansonsten überall in Form von Saft oder Fruchtmark zu bekommen. Die aus China stammenden Gojibeeren dagegen sind fast ausschließlich getrocknet erhältlich.

Auch die angesagten brasilianischen Acaibeeren schneiden im Vergleich mit Blaubeeren, Brombeeren, roten Weintrauben oder sogar Kirschen hinsichtlich ihrer antioxidativen Wirkung nicht spektakulär besser ab, die im Gegensatz zu ihnen frisch erhältlich sind.

Wer seine Zellen effektiv schützen will, ist sogar schon mit Holunderbeeren bereits bestens bedient. All diese Beeren kann man in Deutschland im Prinzip sogar selber pflücken. Die Acaibeeren aber kommen als gefrorene Flugware ins Land. Und mal ganz abgesehen von den aus ökologischer Sicht sehr ungünstigen Transportwegen gehen bei ihrer Verarbeitung natürlich auch Nährstoffe verloren.

„Ein gesundheitlicher Mehrwert im Vergleich mit der Vielzahl heimischer Gemüse und Früchte ist eher nicht gegeben“, urteilt dementsprechend auch die Verbraucherzentrale NRW im Hinblick auf die trendigen Superfoods aus der Ferne. Überdies seien ihre angeblichen gesundheitlichen Wirkungen oft nicht hinreichend wissenschaftlich belegt. Auch bei den Nährwertanalysen gebe es erstaunliche Abweichungen zwischen den einzelnen Anbietern.

Und wer zum besagten Chiasamen-Brötchen greift, nimmt meist sowieso nur eine ernährungsphysiologisch irrelevante Kleinstmenge des entsprechenden Produkts zu sich. Denn oft werden die teuren Superfoods eher wie eine Dekoration für ein ganz anderes Lebensmittel eingesetzt. Eine höhere Dosis allerdings bringt wiederum nicht nur die Chance auf Heilwirkungen, sondern auch Risiken mit sich, weil exotische Lebensmittel oft auch bislang unbekannte Allergene beinhalten.

Vor diesem Hintergrund zeichnet sich derzeit ein neuer Trend ab: „Heimische Superfoods“ lautet beispielsweise der aktuelle Buchtitel der Autorin Barbara Rias-Bucher. Darin finden sich Rezepte mit so unspektakulären Zutaten wie Tomaten, Möhren, Paprika, Topinambur oder Dinkel. Die vermeintlich schnöden Altbekannten wachsen in ganz Deutschland und stehen ihre exotischen Kollegen in Sachen Nährstoffreichtum in nichts nach.

Man kann Superfoods sogar auf dem heimischen Balkon anbauen, zum Beispiel Knoblauch, Pflücksalat oder Gerstengras. Und wer bei einem Spaziergang über die Sommerwiese ein paar Handvoll Löwenzahn oder Gänseblümchen mitnimmt, darf sich selbstbewusst einen Superfood-Sammler nennen.

Mit ihrem neuen Buch „Superfoods aus der Heimat“ gehen die Autorinnen Claudia Lazar und Monika Cordes noch einen Schritt weiter, indem sie dem Leser mit nährstoffreichen regionalen Rezepten für das ganze Jahr versorgen. Wer hier auf Hauptzutaten wie Blumen- oder Grünkohl, Feldsalat und Mangold, Lauch und Zwiebeln, Linsen und Hafer oder Hasel- und Walnüsse stößt, wird das Gros dieser Lebensmittel womöglich ohnehin in seiner Speisekammer oder auf seinem regulären Einkaufszettel finden.

Und sollte der hier unter anderem empfohlene „Dicke-Bohnen-Salat“ als „veganes Protein-Highlight“ vor lauter Vertrautheit nicht mehr hip genug erscheinen, könnte man die Komposition ja mit ein paar Chiasamen garnieren.

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