Urlaubsweine Der Geschmack des Urlaubs

Früher oft Reinfall, heute feine Klassiker: Retsina, Lambrusco oder Muscadet haben sich zu traditionellen Spezialitäten entwickelt, die eine Wiederbegegnung lohnen.

 Stevrios Kechris bereitet Pinienharz für die Vergärung des Retsina vor.

Stevrios Kechris bereitet Pinienharz für die Vergärung des Retsina vor.

Foto: Weingut Kechris

Bonn. So oder ähnlich erging es wohl vielen Baby Boomern. Jeden Sommer, sobald die Schulferien anbrachen, wurden die Kinder auf den Rücksitz des Autos gepackt – und dann ging’s ab in den Urlaub. Nach Italien zum Beispiel. Bellaria, Rimini, Milano Marittima, die Adriaküste rauf und runter. Vermutlich gab’s dort damals auch den ersten Schluck Wein: süßen perlenden Lambrusco. Die Flasche, die als Souvenir mit nach Hause reiste, erwies sich jedoch als Reinfall: pappig süß, dropsig, belanglos.

Nicht viel anders verlief vermutlich die erste Begegnung mit Retsina. Im urigen Hafenlokal in Rethymnon zu Lammkoteletts und Tzatziki war der noch eine mitreißende Begleitung – und zu Hause dann eine einzige verharzte Pleite. Auch der Muscadet, der in dem Fischerdorf an der französischen Atlantikküste noch so herrlich erfrischend zur Plat de fruits de mer schmeckte, entpuppte sich daheim als fader blasser Typ. Und so wurden diese Urlaubsweine von vielen kurzerhand aus der privaten Weinliste gestrichen.

Doch seither hat sich die Weinwelt mehrfach gedreht. Die Wiederbegegnungen mit den Urlaubsweinen der Jugend schaffen es jetzt, bleibende Erinnerungen zu hinterlassen. Der Lambrusco Grasparossa L'Acino vom Familienweingut Corte Manzini in Castelvetro beispielsweise. Ein Hauch Restsüße macht ihn angenehm, er bietet dazu eine volle Frucht mit Himbeere, Cranberry, Kirsche: schlicht überwältigend. Dieser prickelnder Lambrusco degradiert Prosecco zum Schaumwein für Mutlose. Der Wein unserer Jugend ist erwachsen geworden. So ein Lambrusco ist heute ein wunderbar leichter Schaumweingenuss am Sommerabend.

So heiter und unbeschwert sich Lambrusco trinken lässt, so sorgfältig werden diese Weine von Qualitätswinzern wie Manzini in der Region Emilia-Romagna heute auch hergestellt. Sie zügeln radikal den Ertrag dieser wüchsigen Rebsorte im Weinberg. Genau genommen ist Lambrusco eine ganze Rebsortenfamilie mit rund 60 Verwandten, von denen der Grasparossa und der Sorbara die spannendsten Ergebnisse hervorbringen. Gemein haben sie eine markante Säure, die beim Grasparossa eben gern mit etwas Restsüße ausgeglichen wird – als Amabile sogar im lieblichen Stil –, während Sorbara trockener und damit auch etwas ernsthafter ausfällt. Sie passen damit hervorragend zu den üppigen regionalen Spezialitäten aus der Emilia-Romagna wie beispielsweise Mortadella, die ihren Ursprung in Bologna hat, Parmaschinken, Salami aus Felino und natürlich auch alle Arten Pasta mit Soße Bolognese.

Der Most für Grasparossa und Sorbara wird nur bei Bedarf vergoren und die Vergärung gestoppt, wenn die gewünschte Restsüße erreicht wird. Immer frisch hergestellt, setzen die Weine dann ganz auf ihre Frucht.

Solche heiteren Lambruscos sind Alltagserscheinungen. Daneben gibt es heute auch Interpretationen, die es sogar gut und gern mit Champagner aufnehmen können. Der Lambrusco Spumante Rosé von der Cantina della Volta bringt die Finesse und das feine Mousseux aus der traditionellen Flaschenvergärung und drei Jahren Lagerung auf der Hefe zusammen mit der ausdrucksvollen Frucht des Lambrusco Sorbara. Das ist nicht nur ein feinsinniges Vergnügen, sondern es ist Winzer Christian Bellei damit auch gelungen, einen neuen Lambrusco-Kosmos zu entdecken.

Daneben erlebt Muscadet eher eine Evolution statt eine Revolution. Dieser Wein aus der westfranzösischen Gegend um Nantes an der Loire wird nicht, wie es der Name vermuten lässt, aus der aromatischen Sorte Muscat gemacht, sondern ganz im Gegenteil: aus der neutralen Traubensorte Melon de Bourgogne. Die bringt sehr wenig an Eigengeschmack mit, was ihr in diesem Fall quasi zum Vorteil gereicht: In der Appellation Sèvre et Maine wird sie „sur lie“, auf der Hefe, gelagert, was den Weinen ganz zarte Noten verleiht. So nimmt der Muscadet Sèvre et Maine sur lie de Saint Fiacre vom Château du Coign nur einen Hauch aus Nuss, Melisse und Minze an, diskret und zurückhaltend. Und genau so will es auch die moderne und ambitionierte junge Winzerin Veronique Günther Chereau. Denn Muscadet gilt klassisch als der ideale Begleiter zu Meeresfrüchten und soll ihnen geschmacklich sozusagen den Vortritt lassen.

Aber die größte Abbitte verdient Retsina, nicht jeder sicherlich, aber der „Tear of the Pine“ (Träne der Pinie) vom griechischen Weingut Kechris lässt schon mit dem ersten Schluck alle Voreingenommenheit schwinden mit seiner subtile Art, das Aroma aus der Vergärung mit Pinienharzstückchen aufzuschlüs-seln in einen feinen Duft von Piniennadeln und Thymian und dann diese Würze in einen eleganten Weißwein einzubinden. Tear of the Pine ist die Quintessenz von Retsina, die bewusste Entscheidung von Stelios Kechris und seiner Tochter Eleni, aus dem altmodischen Traditionswein etwas Großartiges zu machen.

Der Großteil der griechischen Winzer hatte Retsina nie den nötigen Respekt entgegengebracht, denn seine harzige Zutat hat einfachheitshalber jede Nachlässigkeit überdeckt: flache unaromatische Weine und selbst Fehler. Dabei ist Retsina fast so alt wie die Weingeschichte Griechenlands selbst. Als die alten Griechen Wein machten, bewahrten sie ihn in Amphoren auf. Um diese abzudichten, verwendeten sie Pinienharz. Durch den Kontakt im porösen Ton und mit dem Verschlusspfropfen absorbierte der Wein das intensive Aroma des Harzes und zeigte anschließend eine unverkennbare Würze.

Wenn schon Retsina als Sinnbild für griechische Weine steht, dachte sich Winzer Kechris, dann sollte dieses Sinnbild auch genussvolle Formen annehmen. Zusammen mit Eleni plante er, einen modernen Spitzenretsina zu schaffen. Die beste weiße griechische Rebsorte sollte es dafür sein: Assyrtiko statt der sonst üblichen rustikaleren Roditis, vergoren und ausgebaut in Holzfässern. Ganz wenig Pinienharz wurde bei der Vergärung dazugegeben, um nur einen unaufdringlichen Hauch von Würze beizusteuern. So fein, so elegant ist das Ergebnis, dass es heute nach einer großen und langen Urlaubsliebe schmeckt.

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