Tier des Jahres 2016 Stiller Rückzug des Feldhamsters

Einst galt er als Plage. Mittlerweile hat ihn die moderne Landwirtschaft von den Feldern verdrängt. Jetzt versucht sogar die Politik, den Feldhamster vor dem Aussterben zu bewahren. Doch ist es nicht schon längst zu spät?

 Feldhamster graben in ihrem Revier meist mehr als einen Bau und legen dort eine Schlafkammer, eine Toilette und eine Speisekammer an, in der sie ihre Vorräte horten.

Feldhamster graben in ihrem Revier meist mehr als einen Bau und legen dort eine Schlafkammer, eine Toilette und eine Speisekammer an, in der sie ihre Vorräte horten.

Foto: picture alliance / dpa

Auf einem Feld irgendwo in Deutschland: Während der Dämmerung huscht ein auffälliges Nagetier aus seinem Bau: Es ist ungefähr 20 bis 25 Zentimeter lang, hat einen schwarzen Bauch und cremefarbene Flecken im ansonsten rot-braunen Fell. Der haarlose Schwanz ist zu kurz für den einer Ratte. Spätestens mit einem Blick auf die Backen des Nagers wird klar, dass es sich um einen Hamster handelt. Genauer gesagt, um einen Feldhamster. In seinen Backentaschen „hamstert“ er alles, was er an Nahrung findet – Samen, Getreide, Kräuter, aber auch Regenwürmer oder Käfer – und bringt es anschließend in die Speisekammer seines Baus, den er bis zu zwei Meter tief in die Erde gräbt.

Doch wie lange wird man den Feldhamster noch so beobachten können und wie realistisch ist die eingangs beschriebene Szenerie? Cricetus cricetus, so der wissenschaftliche Name des Feldhamsters, ist das Tier des Jahres 2016 – und zwar nicht etwa, weil er so niedlich aussieht. Der Anlass ist eher unerfreulich: Mittlerweile ist das heimische Nagetier vom Aussterben bedroht. Dies liegt weniger daran, dass er in seiner Nahrung besonders wählerisch wäre, als dass er mit einer anderen Art seit Jahren um seinen Lebensraum konkurriert: Mit dem Mensch beziehungsweise mit den Bauern, die ihre Felder seit den 60er Jahren mit modernen landwirtschaftlichen Geräten beackern.

Auch das eingangs beschriebene „Irgendwo in Deutschland“ entspricht längst nicht mehr der Lebenswirklichkeit der Feldhamster: Lediglich in einigen wenigen Regionen (s. Karte) sind Populationen nachweisbar. Was Nordrhein-Westfalen angeht, so leben offenbar nur noch in der Zülpicher Börde einige der Nagetiere. „In Zülpich gibt es keinen nennenswerten Bestand mehr“, sagt Melanie Albert, Fachreferentin für Feldhamsterschutz der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V. „Es muss nicht nur nachgezüchtet werden, sondern auch der Lebensraum muss wiederhergestellt werden.“ Deutschlandweit gibt es bisher nur ein solches Zuchtprogramm. Im Heidelberger Zoo versucht man seit 2004, die Art zu erhalten, und setzt die Feldhamster in der freien Natur aus.

Was seine Felder angeht, so bevorzugt der Feldhamster Lößböden, denn diese sind nicht wasserdurchlässig und schützen seine Behausung sowie die gesammelten Vorräte vor Nässe. Sobald ein Nagetier seinen sicheren Bau verlässt, wird es selbst schnell zum Beutetier: Greifvögel erspähen die Hamster mit der auffälligen Fellmusterung oft bereits aus großer Höhe. Zugute kommt ihnen Sichtschutz in Form von Stoppeln und Randstreifen, unter deren Blättern und Halmen sich die Nager verbergen können. Doch dieser überlebenswichtige Sichtschutz wird immer seltener.

Für Bauern rentieren sich Stoppelfelder nicht. Um mehrmals im Jahr etwas anbauen zu können, entfernen sie die Stoppeln bald nach der Ernte und lassen den Feldhamstern einen leeren Acker zurück. Für die kleinen Säugetiere ist dies in zweifacher Hinsicht stressig: Wenn sie Glück haben und nicht von einem Feind entdeckt und verspeist werden, so finden sie auf diesem Feld nichts Essbares mehr für den Winter.

Der Feldhamster hält in der Regel ab August/September bis März eine Winterruhe, die er nur unterbricht, um seine leeren Energiespeicher mit Vorräten aus seiner Speisekammer aufzufüllen. Wenn diese aber leer ist, muss sich der entkräftete Hamster auch im Winter auf Nahrungssuche begeben und ist in diesem Zustand eine leichte Beute. Dass er im Winter auf dem Acker wohl kaum etwas zu fressen findet, kommt erschwerend hinzu.

Die Lage des Feldhamsters war nicht immer so schlecht. In den 1970er Jahren galt er plötzlich als Schädling und wurde aktiv bekämpft. Aus dieser Zeit stammen beispielsweise Pelzmäntel, die aus den Fellen der erlegten Hamster hergestellt wurden. Nach dem großen Aufschrei wegen der Hamster-Plage auf den Feldern wurde es still um das kleine Nagetier. Erst jetzt, wo das Überleben seiner Art auf dem Spiel steht, beschäftigt sich auch die Politik mit dem Schutz des Feldhamsters. Auf seiner Homepage informiert das NRW-Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz über Maßnahmen, die dazu führen sollen, den „Erhaltungszustand zu verbessern“. Aktuell, so heißt es, sei der Feldhamster in NRW vom Aussterben bedroht und zähle auch europaweit zu den streng zu schützenden Arten.

Die Gefährdung des Feldhamsters durch den Menschen ist vielseitig: Neben dem bereits erwähnten Problem mit der fehlenden Deckung durch häufiges Mähen und frühes Abernten machen den Tieren auch die einseitige Bestellung der Felder zu schaffen: Es wird weniger (Winter-)Getreide angebaut und auch ganzjährig wachsende Pflanzen finden sich nur noch selten auf dem Feld; dabei würden gerade sie dem Feldhamster beides bieten: Deckung und Futter.

„Der Feldhamster ist nur ein Flagschiff“, betont Albert, „von den Schutzmaßnahmen profitieren auch andere bedrohte Tiere wie das Rebhuhn oder die Feldlerche.“ In NRW möchte man daher Bauern dafür gewinnen, den Anbau von Wintergetreide wie Klee oder Luzerne und Deckung bietenden Pflanzen auf den eigenen Feldern umzusetzen. Damit erhofft man sich, dass die Tiere von März bis in den Herbst hinein mit ausreichend Nahrung versorgt sind.

Hinzu kommt die Forderung, unbefestigte Wegesränder sowie Böschungen und Stoppeln nach der Ernte länger stehen zu lassen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den Einschränkungen in der Bodenbearbeitung durch landwirtschaftliche Maschinen: Pflügen sollten die Landwirte nur bis 25 Zentimeter Tiefe, um den Bau des Hamsters nicht zu zerstören. Alle anderen Formen der Bearbeitung sind nur in der Zeit vom 16. Oktober bis zum 31. März erwünscht; anschließend erwachen die Feldhamster und stärken sich für die anstehende Paarungszeit.

Anders als man bei einer aussterbenden Tierart vielleicht vermuten würde, gibt es zwei Paarungszeiten. Ab April besuchen männliche Feldhamster die Weibchen in ihrem Bau, um sich dort mit ihnen zu paaren. Nach nur ungefähr 20 Tagen Tragzeit bringt das Feldhamsterweibchen dann vier bis zwölf nackte und blinde Junge zur Welt, um die sie sich kümmern muss, bis sie nach ungefähr zwei Wochen laufen lernen und mit ihrer Mutter erstmals aus dem Bau ins Freie kommen.

Selbstständig sind die Jungtiere nach ungefähr drei bis vier Wochen. Dann verlassen sie den Bau ihrer Mutter. Viele der Junghamster überleben diese ersten Wochen nicht, da sie noch unerfahren sind, wenn sie sich bereits eigenständig ein Revier suchen, einen Bau anlegen und Nahrung sammeln müssen. Im späten Sommer werfen die Weibchen oft noch ein zweites Mal, doch für diesen Nachwuchs stehen die Überlebenschancen noch schlechter, denn sie müssen sich auch noch für den bevorstehenden Winterschlaf mit Nahrungsvorräten eindecken. Wer zu wenig gesammelt hat, überlebt den Winter nicht. Früher gab es sogar drei Würfe pro Jahr.

Feldhamster-Expertin Melanie Albert möchte eine flächendeckende Beratung für Landwirte: „Manche Bauern wissen gar nicht, dass es Feldhamster auf ihrem Land gibt. In Hessen gibt es dafür eine Beratungsstelle.“ Informierte Landwirte, die erkennen, dass ihnenkeine finanziellen Nachteile drohten, seien sehr kooperativ.

Es ist nur ein kleiner Lebensraum, den der Feldhamster für sich beansprucht: Sein Revier ist ungefähr 0,5 bis 1 Hektar groß. Selbst wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt würden, müssten die Bauern den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger stark einschränken und dürften keine Rodentizide, also Nagergifte, verwenden.

Auch die Illusion von einem böschungsumgebenen, mit Wintergetreide bebauten und unbehandelten Feld hat noch einen Haken: Die Lebensräume der Feldhamster sind stark verinselt, also von Straßen und Gebäuden durchtrennt. Dem Feldhamster wurde es zum Verhängnis, dass er dem Menschen und der modernen Landwirtschaft in die Quere kam und den Konkurrenzkampf verlor – danach sieht es momentan stark aus. „Welche Konsequenzen es für die Felder hätte, wenn der Feldhamster aussterben würde, hat man nie untersucht“, sagt Albert. „Er gräbt die Erde um und belüftet sie. Für genauere wissenschaftliche Studien ist es nun zu spät.“

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