Wie vom Erdboden verschluckt

Ziegen und Rinder stürzen auf der Weide plötzlich in Löcher - Dann hat unbemerkt Wasser den Boden solange ausgehöhlt, bis er unter der Last einbricht - Bonner Forscher untersuchen dieses Phänomen

Wie vom Erdboden verschluckt
Foto: Andrea Winzen/Uni Bonn

Bonn. Eben stand die Kuh noch da. Im nächsten Augenblick jedoch ist sie wie vom Erdboden verschluckt. Im wahrsten Sinne des Wortes - denn unter dem Tier tat sich die Erde auf, und das Rind plumpste in ein metertiefes Loch. Tunnelerosion heißt der Trick. Doch niemand ist davon so recht begeistert.

Denn der tiefere Grund für das plötzliche Verschwinden des Viehs: Unterirdisch strömendes Wasser hat die Bergwiese ausgehöhlt. Meist bedeckt nur noch eine Grasnarbe die unsichtbaren Kanäle und Kavernen. Doch bei Belastung bricht die dünne Decke. Selbst Leichtgewichte wie Kleinkinder landen dann unversehens auf dem Grund der sich auftuenden Gräben.

Springquelle am Hang

"Tunnelerosion", betont Johannes Botschek von der Uni Bonn, "ist ein globales Phänomen." Doch bislang kannten die Geologen solche Wasser führenden Stollen nur aus mehr oder weniger trockenen Gegenden. Inzwischen aber häufen sich auch aus feuchteren Regionen mit größeren Niederschlagsmengen die Berichte über unterirdische Rinnensysteme.

Seit einiger Zeit widmen sich daher Wissenschaftler des Bonner Instituts für Bodenkunde intensiv diesem Thema: "Tunnelerosionen spielen bei uns doch eine größere Rolle, als bisher angenommen wurde."

Als Kerngebiet für ihre Untersuchungen wählten sie das Hügelland um die 1958 erbaute Wahnbachtalsperre im Rhein-Sieg-Kreis. Denn dort waren in letzter Zeit gehäuft unterirdische Gänge eingestürzt. Das Gebiet zeigt die typischen Voraussetzungen für anfällige Areale. Die Landschaft ist geprägt von flachen Berghängen, in den vielen Mulden fließt das Wasser nach Regenfällen schnell zusammen.

Zudem ist der Boden mit großen Poren und Schrumpfrissen durchsetzt. Tiefreichende Wurzel- und Tiergänge erhöhen die Durchlässigkeit.

Wenn dann in den kälteren Jahreszeiten die Vegetation pausiert, wird es riskant. Wegen der Wachstumspause der Pflanzen fließen die Niederschläge ungenutzt in den Untergrund. "Wenn das Wasser rasch in den Unterboden versickert und der Oberboden ausreichend stabil ist, kann ein schnell strömender unterirdischer Abfluss die Tunnels ausspülen", erklären die Bonner Forscher. Verstärkt wird das Auswaschen, wenn das Regenwasser unter der Erde schneller wegfließt als oberhalb.

Erste äußerliche Anzeichen für eine einsetzende Unterminierung des Erdreichs sind beispielsweise plötzlich auftretende Springquellen an Hangböschungen. An diesen Stellen wird der unterirdische Fluss gestaut, der entstehende Druck presst das Wasser durch die Vegetationsdecke nach oben.

Die heraus sprudelnde Fontäne ist durch das mitgeführte Bodensubstrat stark eingetrübt. "Nach starken Regenfällen hören wir auf dem Grund das Wasser rauschen", schildert Johannes Botschek den Vorgang. "Es reißt dabei Bodenmaterial und sogar Steine mit sich."

An einigen Stellen erreichen die unterirdischen Kanäle einen Durchmesser von rund drei Metern. Es kommt zu ersten Einbrüchen. Im nächsten Stadium weiten sich die Sinklöcher zu ganzen Gullysystemen aus. Der Verlust an Bodenmaterial, so die Bonner Wissenschaftler, kann sich auf 15 Tonnen pro Hektar im Jahr steigern.

Zum Vergleich: Durch Monokultur strapazierte Böden, wie etwa bei ausgedehnten Baumwollpflanzungen oder riesigen Erdnussplantagen in den USA oder Afrika, verlieren sieben Tonnen je Hektar. Ohne Tunnelerosion wird in Europa nur eine knappe Tonne Erde von jedem Hektar Ackerland abgetragen.

Die fortschreitende Durchlöcherung der Bergflanken schränkt ihre Nutzung immer stärker ein. Fruchtbare Äcker werden zu Weiden, die auch aufgegeben werden müssen, wenn die Wasserlöcher zur Gefahr für das Vieh werden. Schließlich wird das Land völlig unbrauchbar, es sind "Badlands" - "schlechtes Land" - entstanden.

Doch außer dem landwirtschaftlichen Verlust verursacht die Tunnelerosion auch Umweltprobleme. Regen oder Schneeschmelzen spülen von der Erdoberfläche natürliche Nährstoffe und Bodenmikroben, aber auch Reste von Kunstdüngern und Pflanzenschutzmitteln in tiefere Erdschichten. Bei einer normalen Versickerung hält der Boden diese Stoffe zurück. In Erosionsgebieten jedoch ist für eine effektive Klärung des Wassers der Durchfluss viel zu schnell.

Zudem hat der Boden durch fehlendes Material seine Filterfunktion weitgehend eingebüßt.

Die Niederschläge strömen daher ungereinigt in Bäche, Flüsse und Seen. Die zusätzliche Zufuhr von Mikroorganismen, Nährstoffen sowie chemischen Rückständen beeinträchtigt die Qualität der Oberflächengewässer beträchtlich. Problematisch wird es, wenn das belastete Wasser in Stauseen gelangt. So wie bei der Wahnbachtalsperre, die der Trinkwasserversorgung dient. Zumindest teure Reinigungsmaßnahmen stehen dann an. "Ob und wie man der Tunnelerosion vorbeugen oder sogar entgegen wirken kann, ist bis jetzt nur in Ansätzen geklärt", so die Bonner Forscher.

Infos unter www.tunnelerosion.de, Meldungen über entdeckte Sinklöcher per E-Mail an tunnelerosion@web.de.

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