Wenn Freundlichkeit die Kehle zuschnürt

Call-Center: Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitssicherheit in Sankt Augustin hat umfassende Studie erstellt - Dauerstress belastet die Stimme

Sankt Augustin. Er ist vielseitig: arbeitet für ein Hotel, für den Handwerkernotdienst, den Ticketservice, betreut die Schadensmeldungen für eine Karosseriewerkstatt und macht zwischendrin noch Testanrufe für ein Marktforschungsinstitut. Ein Tausendsassa?

Der junge Mann ist Angestellter einer Agentur, die die telefonischen Kundenanrufe und -wünsche von rund 20 Firmen beantwortet und betreut. Solche Call Center sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Fast 300 000 Personen arbeiten dort mittlerweile in Deutschland. Tendenz: weiter steigend.

Das Berufsgenossenschaftlichen Institut für Arbeitssicherheit (BIA) in Sankt Augustin hat die bislang umfassendste Studie "Arbeitsbedingungen und mögliche krankmachende Faktoren" in Call Centern (CCall) erstellt. Ergebnis: Zwar gleichen sich die geschätzten rund 2 900 Telefonagenturen in Deutschland kaum, doch seien die Belastungen des Personals überall ähnlich groß. Dem Gründungsboom der Telefonzentralen folgte eine Patientenwelle, schreiben die Forscher.

Nach den Recherchen der Wissenschaftler zählt ein Großteil der sprachtherapeutischen Praxen in Deutschland (65,4 Prozent) inzwischen Mitarbeiter von Call Centern zu ihren Patienten. Das Sankt Augustiner Institut führte deshalb für diese Studie mit rund 180 zufällig ausgewählten Praxen Kurzinterviews über die Häufigkeit und Art der Therapien sowie die Belastungsfaktoren.

Am stärksten betroffen ist demnach das wichtigste Arbeitswerkzeug der Vieltelefonierer: die Stimme. Immerhin führt ein Call-Center-Mitarbeiter im Schnitt bis zu 300 Gespräche pro acht-Stunden-Schicht. Dennoch: "In der Regel ist nicht diese Akkordleistung, das Verhalten der Telefonisten selbst oder ihre Atemtechnik die entscheidende Ursache für Stimmprobleme, sondern die spezifische Arbeitssituation", sagt Anja Sportelli von der Bochumer TekoMedia, die für die Studie diesen Aspekt untersuchte.

Sie nennt die lauten Hintergrundgeräusche in den Räumen, untaugliche Büros, ausgeprägte Bindung an den Arbeitsplatz und psychischen Druck. "Vor allem die verlangte nonstop-Freundlichkeit belastet das Sprechorgan", erläutert Dagmar Schittly vom Sankt Augustiner Projektteam.

Für dieses ständige Lächeln der Stimme muss diese unentwegt unnatürlich angehoben werden. "Dieser künstliche Druck auf die Stimmlippen kann schlimmstenfalls zu Stimmbandknötchen führen, häufig entwickelt sich zunächst eine hyperfunktionelle Dysphonie", weiss Sportelli. "Das ist eine bestimmte Heiserkeit, die entsteht, wenn die Stimmlippen mit zu große Kraft beim Sprechen aufeinander schlagen".

Weitere Gefahren für den Sprechapparat: Das wegen der Geräuschkulisse erforderliche sehr laute Sprechen sowie die fehlende Gestik und Mimik, die auch noch von der Stimme "aufgefangen" werden müssen. Die häufig gar nicht sprachlich geschulten Telefonagenten stehen zudem unter großem psychische Druck: Nicht nur, weil Vorgesetzte die Gespräche oft mithören.

Auch der häufig zu wechselnde Arbeitsplatz der Agenten - nur 16 Prozent verfügen über einen eigenen Schreibtisch - schlägt auf die Seele. "Dieser Stress kann zu Hochatmung, Verspannungen und trockenen Schleimhäuten führen", erläutert die Logopädin Margarete Saatweber. "Das schnürt vielen die Kehle zu."

Diese Fachleute führen lediglich 20 Prozent der Stimmstörungen auf "stimmspezifische Faktoren" - etwa falsche Atemtechnik, Rauchen und falschen Stimmgebrauch - zurück, weitere 20 Prozent auf den Lärmpegel, 19 Prozent auf das pausenlose Sprechen, weitere 19 auf Arbeits- und psychischen Druck. Den Rest teilen sich falsche Körperhaltung und Stühle, schlechtes Raumklima, fehlende Pausen und untaugliche Kopfhörer.

Infos: Dagmar Schittly (0 22 41) 2 31 14 34 und im Internet unter www.ccall.de

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