Wenn die Erinnerungen immer mehr bröckeln

Bonner Forscher fahnden im Kompetenznetzwerk "Demenzen" nach frühen Anzeichen für Alzheimer, um die Symptome der Krankheit möglichst lang hinauszuzögern

Wenn die Erinnerungen immer mehr bröckeln
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Bonn. Seit fast 100 Jahren ist die Alzheimer-Krankheit bekannt, doch über die Ursachen tappen die Forscher nach wie vor weitgehend im Dunkeln. 1907 beschrieb der bayrische Nervenarzt Alois Alzheimer erstmals die später nach ihm benannte Demenz als eigenständige Erkrankung.

Ärzte der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Bonner Universität fahnden im Kompetenznetzwerk "Demenzen" nach frühen Anzeichen für Alzheimer. Denn je früher die Krankheit erkannt wird, desto leichter lassen sich die Symptome hinauszögern.

Demenzerkrankungen treten überwiegend in der zweiten Lebenshälfte auf, meist nach dem 65. Lebensjahr. Derzeit leiden in Deutschland rund eine Million Menschen an einer Demenzerkrankung, davon 700 000 an Alzheimer. Bei 200 000 Menschen ist eine Durchblutungsstörung die Ursache für die Schädigung, und der Rest sind seltene Krankheitsformen. Pro Jahr kommen 250 bis 300 neue Patienten dazu.

"In Anbetracht der zunehmenden Lebenserwartung erlangen die Demenzen immer größere Bedeutung", sagt Professor Wolfgang Maier, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. "Es handelt sich um eine furchtbare und - auch das darf man nicht außer Acht lassen - teure Erkrankung." Nach Schätzungen von Experten schlägt die Behandlung von Demenz-Patienten in Deutschland mit rund 20 Milliarden Euro zu Buche. Steigt die Zahl der Betroffenen weiter, explodieren die Kosten.

Je früher eine demenzielle Erkrankung erkannt wird, desto günstiger ist das für den Verlauf. Denn sie fußt auf einem beschleunigtem Absterben von Gehirnzellen, das nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand nicht aufzuhalten ist. Der Prozess ist nicht revidierbar, aber der Fortgang der Erkrankung lässt sich verzögern. Durch Medikamente können die Aktivität und Leistung der übrigen Zellen gewissermaßen angekurbelt werden.

"Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen", erklärt Frank Jessen, Oberarzt an der Bonner Klinik, "aber man kann durch die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der restlichen Zellen eine Stabilisierung über mehrere Jahre erreichen. Und das ist für Menschen jenseits der 70 sicher ein relevanter Zeitraum." Je mehr gesunde Zellen vorhanden sind, desto besser sind die Chancen für die Stabilisierung.

Das Kompetenznetz greift deutschlandweit auf die Daten von insgesamt 2 000 Demenz-Patienten zurück. So nehmen die Forscher die Blutwerte unter die Lupe, um frühe Anzeichen für den Ausbruch der Krankheit herauszufiltern. Von besonderem Interesse sind auch genetische Ursachen. Die Wissenschaftler gehen nämlich von einer stark erblich geprägten frühen Alzheimer-Form und einer weniger genetisch bedingten Spätform aus.

Als weiteres Risiko haben die Mediziner den Cholesterinstoffwechsel ausgemacht. Die Krankheit entwickelt sich weit bevor die ersten Symptome auftreten. Wenn Alzheimer-Patienten erstmals durch extreme Vergesslichkeit auffallen, dann hat das Gehirn meist schon eine über Jahre währende schleichende Veränderung hinter sich. Daher ist der Bonner Forschungsschwerpunkt, Alzheimer möglichst früh zu erkennen - am besten bereits dann, wenn noch gar keine äußeren Anzeichen vorhanden sind.

Die entscheidende Frage zu Beginn der Untersuchungen heißt sicher: Altersvergesslichkeit oder Demenz? Denn nicht jeder vergessene Name deutet gleich auf eine demenzielle Erkrankung hin. Geht man in den Keller und weiß nicht mehr, was man dort wollte, ist das ein Phänomen, das wohl jedem schon ein Mal passiert ist. Es ist weitaus weniger Warnsignal als nicht mehr zu wissen, wie man überhaupt in den Keller gekommen ist.

Der Zerfall beginnt im Gehirn an den Orten, die mit Gedächtnis und Informationsverarbeitung zu tun haben. Hier wird Erlerntes - also alte Informationen - mit Sinneseindrücken - neuen Daten - vernetzt. Durch den Verlust an Nervenzellen und Botenstoffen können die eintreffenden neuen Sinneseindrücke nicht mehr richtig verarbeitet und mit dem bereits Gelernten nicht mehr sinnvoll verknüpft werden. "Persönlichkeit, Emotionalität und geistige Fähigkeiten verfallen", erklärt Jessen, "der Patient wird aggressiv. Das ist auch für die Angehörigen grausam."

Den Angehörigen kommt auch bei der Diagnostik große Bedeutung zu. "Man sollte sensibel sein für Gedächtnisstörungen, aber subjektive Aussagen sind hier schwierig. Stichhaltiger ist da, was das Umfeld beobachtet", erläutert Jessen. Werden häufig selbstverständliche Dinge vergessen, sollte man sich an Spezialisten wenden.

Das sind zunächst einmal niedergelassene Neurologen und Psychiater, die je nach Bedarf an die Ambulanz der Psychiatrie, die - und das ist einzigartig in Deutschland - mit der benachbarten Klinik für Neurologie als interdisziplinäres Zentrum zusammen arbeitet.

"Diese Zusammenarbeit rundet die Diagnostik ab", so Jessen. Unter anderem wird dort anhand normierter Tests überprüft, ob es Abweichungen von der "normalen", altersgerechten Gedächtnisentwicklung gibt.

Informationen gibt es unter der Rufnummer (02 28) 287 63 67.

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