Deutscher Akademischer Austauschdienst Universität Bonn ist Gastgeber für das Stipendiatentreffen

BONN · Wenn sich mehr als 530 Studenten aus 98 Nationen gleichzeitig in ihren jeweiligen Landessprachen unterhalten, ist das wie ein wabernder Bienenschwarm. Vereinzelt schnappt man Bruchteile von Englisch auf, irgendetwas klingt Arabisch, manches Chinesisch.

So war es jetzt bei der Eröffnung des Stipendiatentreffens des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Bonn. Hatten sich die jungen Menschen erst in Ländergruppen aufgeteilt, mischte sich die Masse bei den Vorträgen über die Zukunft der Europäischen Union bald bunt durcheinander.

Trafen sich die Studenten früher regional, tun sie es jetzt themenorientiert. "Damit haben wir auf die Anregungen unserer Mitglieder reagiert", sagt DAAD-Vizepräsident Dr. Joybrato Mukherjee. Das soll den Eintritt in das Hochschul- und Forschungssystem erleichtern und die fachliche Vernetzung fördern. So kamen diesmal fast die Hälfte aller Teilnehmer aus den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, um über Geschichte und Erfolg der Währungsunion oder die Perspektiven der Jugend in Krisenzeiten zu diskutieren.

"Am interessantesten war aber das Gespräch über die Revolution in der Ukraine und ihre Zugehörigkeit zu Europa", sagte Jamol Bahromov aus Usbekistan. Selbst in der Freizeit hätten die Stipendiaten darüber noch hitzig debattiert.

Rafael Gessinger, Andre Cressoni und Vitor de Romaris Braganca aus Brasilien beschäftigte zunächst nicht die EU, sondern der Alltag. Ihre Gruppenleiterin war ausgefallen, der Ersatz sprach kein Portugiesisch. "Es fällt uns schwer, uns auf Deutsch zu unterhalten", erzählt Cressoni. Alle drei stecken noch mitten in den Sprachkursen. Während das Zuhören gut funktioniere, sei vor allem das Argumentieren eine Herausforderung.

"Zuerst denkst du, dass du echt gut Deutsch kannst. Aber sobald du diskutieren musst, merkst du, dass es eine wirklich schwierige Sprache ist", sagte Gessinger, der an der Universität Köln in mittelalterlicher Philosophie forscht. Ihn hat der Austausch gereizt, weil Deutschland als sehr fortschrittlich gelte. Die deutschen Hochschulen hätten in Brasilien einen guten Ruf.

Dass das deutsche Bildungssystem hierzulande häufig schlechter dargestellt wird als verdient, liegt laut Mukherjee an hinkenden Vergleichen: "Man kann nicht Stanford, Harvard oder Princeton mit unseren Unis gleichstellen." Es seien zwei völlig unterschiedliche Systeme.

Während das Studium in den USA zehntausende Dollar koste, sei es in Deutschland größtenteils kostenlos. Er ist davon überzeugt, dass das deutsche Hochschulsystem das zukunftsweisendere sei. Während die Amerikaner darauf aus seien, die Besten zwingend an sich zu binden, seien die Deutschen global aufgestellt. "Wir wollen in erster Linie den internationalen Austausch fördern, und wenn es hier jemandem gefällt, soll er bleiben können", sagte Mukherjee. Der DAAD spielt da eine wichtige Rolle: Pro Jahr ermöglicht er 120 000 Studenten den Austausch. Jährlich gibt es fünf große Stipendiatentreffen und unzählige kleine.

So ernst die Themen waren - die jungen Studenten zeigten auch, dass sie junge Studenten sind. Beim Abschlussessen mit anschließender Disko im Kameha Grand Hotel feierten sie ausgelassen. "Das ist alles sehr luxuriös, das muss man als Student auskosten", sagte Jamol Bahromov. Und die drei Brasilianer Rafael, Andre und Vitor beschäftigten sich mit einer der wichtigsten Fragen überhaupt: Wer wird dieses Jahr Fußball-Weltmeister?

Gibt es einen europäischen Literaturkanon?

Gibt es so etwas wie einen europäischen Literaturkanon? Werke, die ins kollektive Gedächtnis des Kontinents gehören und im Lehrplan der Schulen stehen sollen? Dieser Frage gehen vom 26. bis 28. März Forscher aus ganz Europa bei einem Kongress an der Philosophischen Fakultät nach. Bereits im September 2012 hatten einige Bonner Professoren ein Forschungsnetzwerk mit den Hochschulen Paris-Sorbonne, Florenz, St. Andrews, Toulouse, Salamanca, Freiburg (Schweiz) und Warschau gegründet. Die Debatte um den "Kanon" ist das erste große öffentliche Treffen, diskutiert wird französisch und englisch.

"Schiller und Goethe bestimmen die deutsche Schulliteratur, in der Musik sind es Beethoven und Bach", sagt Dr. Michael Bernsen von der Abteilung für Romanistik, der den Kongress mit Dekan Dr. Paul Geyer organisiert. Man müsse sich Gedanken machen, ob nicht auch andere Künstler Schwerpunkte bekommen sollten. Bernsen und viele seiner Kollegen stellen sich vor, dass es bald nicht mehr viele nationale, sondern einen europäischen Leitfaden geben könnte. "Beispielsweise gibt es schon ein europäisches Geschichtsbuch, das in fünf Ländern gedruckt wird", sagt Bernsen.

Dass dieser Konsens sich erst jetzt herauskristallisiert, hat historische Gründe. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es erst die wirtschaftliche Zusammenarbeit, Politik und Geschichte folgten. "Erst seitdem das fortgeschritten ist, entdecken die Menschen ihre gemeinsame kulturelle Identität", so Bernsen. Es sei zu klären, was Europa kulturell verbindet.

Ziel ist es, unter dem Motto "Europäische Kulturen - europäische Identität" Forschungsfelder gemeinsam auszumachen und zu bearbeiten. Langfristig sollen auch ein gemeinsamer Europa-Studiengang und Promotionsstellen angeboten werden.

Info

Das komplette Programm gibt es unter www.europaeische-kulturen.uni-bonn.de

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