Sie befasst sich mit "alltäglichem Ärger"
Brigitta Jud ist mit 32 Jahren die jüngste von allen Bonner Professorinnen - Die Juristin hat sich auf Schadensersatzforderungen spezialisiert
Bonn. Sie ist jung und schlank, lächelt und schaut einem direkt ins Gesicht - lange, ohne den Blick zu senken. Man könnte sie für eine Studentin halten, für eine sehr selbstbewusste. Doch die 32-Jährige hat ihr Studium längst hinter sich. Seit einem Jahr ist Brigitta Jud Professorin für Bürgerliches Recht an der Universität Bonn - mit Abstand die jüngste Frau im Kollegenkreis.
"Als ich angefangen habe, war ich so etwas wie ein Exot: eine junge Frau, zudem aus Österreich. Ich hatte manchmal den Eindruck, dass viele Studenten damals in meine Vorlesung kamen, um einen neugierigen Blick auf mich zu werfen", sagt sie schmunzelnd mit leichtem österreichischem Akzent.
Die gebürtige Grazerin wollte eigentlich nie eine Universitätskarriere einschlagen, sondern Anwältin werden. Bei ihrem Vater, Professor Waldemar Jud, selbst ein anerkannter Jurist, stieß sie damit allerdings auf wenig Gegenliebe. "Er hat immer zu mir gesagt: ''Mach alles, aber kein Jura''."
Sie hat nicht auf ihn gehört. Das hat nicht geschadet, denn es folgte eine steile wissenschaftliche Karriere. Nach vier Jahren beendete sie ihr Studium in Wien, dann folgte das "Gerichtsjahr", die österreichische Form des Referendariats.
Anwältin wollte sie dann doch nicht mehr werden, sondern Forscherin. "Da muss ich eben nicht die 700. Ehescheidung verhandeln, sondern kann mir interessante Fragen herauspicken."
So wurde sie Assistentin am Institut für Zivilrecht in Wien, promovierte mit 25, habilitierte mit 30. "Letztes Jahr habe ich mich dann an die Bonner Uni beworben und bin tatsächlich genommen worden."
Trotz aller Leidenschaft für den Beruf: Das Privatleben ist ihr mindestens genauso wichtig. Seit jeher achtet sie darauf, an den Wochenenden nicht zu arbeiten. "Das ist mir auch in den allermeisten Fällen gelungen." So hat sie genug Zeit für ihre Hobbys wie Ausgehen, die Familie besuchen oder Ski fahren. Ihre Leistung leidet nicht darunter. "Richtig konzentriert arbeiten kann ich etwa acht oder neun Stunden, danach ist Schluss. Da höre ich lieber auf, gehe nach Hause oder mit Bekannten ein Bier trinken."
Jud steht mitten im Leben, nicht nur in privater Hinsicht. So verwundert es auch nicht, dass ihr Spezialgebiet ausgerechnet Bürgerliches Recht ist. Denn da geht es um den ganz alltäglichen Ärger. Spezialisiert hat sie sich vor allem auf Schadenersatzforderungen.
Welche Rechte hat jemand, wenn er einen Fernseher kauft, der nicht funktioniert? Kann Forderungen stellen, wer aus dem Urlaub mit einer Salmonellenvergiftung zurückkommt? "Jeder kann sich darunter etwas vorstellen, denn es geht um Dinge, die uns alle betreffen."
Dass sie firm und begeistert in ihrem Sachgebiet ist, ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass sie nie Probleme hatte, von den zumeist männlichen Kollegen akzeptiert zu werden. Außerdem ist Brigitta Jud eine Frau mit Prinzipien. Das zeigt schon ihr Büro an der Adenauerallee. Keine Blume auf der Fensterbank, keine Privatfotos auf dem Schreibtisch - nur viele dicke Bücher in einer riesigen Regalwand. Einzig eine einsame Palme gibt dem Raum einen grünen Farbklecks. Alles eine Frage der Einteilung: "Ich richte mich nicht heimelig ein, ich bin zum Arbeiten hier. Dagegen arbeite ich zu Hause überhaupt nicht."
Ein weiterer Blickfang: Das Hollandfahrrad vor dem Bücherregal. Fast jeden Tag fährt sie damit ins Büro. Ist Brigitta Jud eine Sportskanone? "Wir wollen doch nicht eine Sportlichkeit vortäuschen, die nicht vorhanden ist", winkt sie lachend ab und schiebt den Drahtesel gleich beiseite. "Ich wohne in der Nähe des Münsters, weit hab'' ich es also nicht."
Das Büro ist aufgeräumt, nur ein paar Blätter liegen auf dem Schreibtisch. Das ist nicht immer so: In arbeitsintensiven Phasen liegen Bücher und Unterlagen im ganzen Raum verstreut, versichert sie. Kontrolliertes Chaos. Zumindest in diesem Punkt erfüllt sie ein Klischee, das des zerstreuten Professors. Auch mit der Technik steht die 32-Jährige auf Kriegsfuss. "Ich bin nicht einmal in der Lage, an meinem Handy den Klingelton zu ändern. Aber alles Technische interessiert mich auch überhaupt nicht."
Das ist jedoch nicht der Grund, warum sie in Vorlesungen auf Dia-Projektoren und anderes Gerät grundsätzlich verzichtet. "Juristerei hat mit Sprache zu tun, eben wie beim sprichwörtlichen ''Wortverdrehen''." Da sei es fehl am Platz, mit "Powerpoint" Schlagworte an die Wand zu werfen, die jeder abpinnt, ohne weiter zuzuhören. Deshalb bemüht sie sich auch, frei vorzutragen, um die Studenten zu Fragen und zur Diskussion zu motivieren: Fähigkeiten, die sie brauchen werden.
Selbst macht sich die Professorin keine Zukunftspläne, denn Planen entspricht nicht ihrem Naturell, sagt sie. Prinzipiell sei in der Zukunft alles möglich. Jetzt ist sie auf jeden Fall erst einmal in Bonn und fühlt sich nach einem Jahr auch schon recht wohl. Nur an die Bonner Mentalität musste sie sich erst einmal gewöhnen. "Wenn ich jemanden anrufe und frage: ''Sollen wir Mittagessen gehen?'', kommt oft die Gegenfrage: ''Wann denn, und in welcher Woche?'' Man will hier eben immer rechtzeitig alles vorplanen."