Selbstverwaltung in Bonner Studentenwohnheimen

Tutoren übernehmen ehrenamtliche Aufgaben - Selbst nachts klingelt das Handy

Selbstverwaltung in Bonner Studentenwohnheimen
Foto: Volker Lannert

Bonn. Felix Thies studiert Geografie in Bonn und besucht eines Sommers seine Freundin in Finnland. Es ist schon Nacht - genauso wie in Deutschland - und Thies schläft. Da klingelt sein Handy mit einer völlig unbekannten Nummer auf dem Display.

Starker italienischer Akzent tönt aus dem Gerät: "Mein Neffe Giuseppe steht weinend vor dem Wohnheim. Es ist abgeschlossen und niemand ist da." Felix Thies ist Ausländertutor des Bonner Studentenwerks.

Er ruft aus Finnland zwei Kollegen an, die Giuseppe mit dem Rad abholen und in sein Zimmer bringen. Auch den Onkel in Italien kann Thies am Telefon beruhigen, als er sich kurz nach dem ersten Gespräch wieder ungeduldig meldet.

Studentische WohnheimeDas Studentenwerk Bonn verfügt über 36 Wohnheime. Im Herbst sollen zwei weitere von der Katholischen Hochschulgemeinde gekauft werden.
Aktuell bietet das Studentenwerk 4 111 Wohnplätze an - in Einzelappartments und WGs. Für die Wohnanlagen stehen insgesamt circa 400 Tutoren und Mentoren ehrenamtlich zur Verfügung.In Bonn hat jedes Wohnheim des Studentenwerks Tutoren - Studierende, die sich um fast alle Anliegen ihrer Mitbewohner kümmern und somit jeweils eine eigene Selbstverwaltung bilden.

Neben dem Vorstand jedes Hauses, der quasi die Regierungsarbeit übernimmt, kümmern sich Tutoren um einzelne Fachgebiete. Der Netzwerktutor etwa ist für die Internetanschlüsse des Wohnheims zuständig, der Umwelttutor für Mülltrennung und Energiesparmaßnahmen.

Eine der wichtigsten Aufgaben übernehmen die Ausländertutoren der 36 studentischen Wohnheime in Bonn. Sie arbeiten als persönlicher Ansprechpartner und Betreuer für ausländische Studierende. "Zuallererst sollen sie ja nicht hilf- und planlos in Bonn angekommen. Wir organisieren einen geregelten Einzug in das Wohnheim - auch nachts, wenn nötig", sagt der 28-jährige Thies.

Aber neben der Organisation ist die wichtigste Aufgabe der Tutoren, Kontakt zwischen den ausländischen und den deutschen Studierenden herzustellen. Sie sind die wichtigsten Integrationsfiguren für die Gäste der Uni.

Dass Felix Thies gerade das Amt des Ausländertutors übernommen hat, ist kein Zufall. Er ist in Belgien aufgewachsen und spricht vier Sprachen. Der Anreiz, überhaupt ein Amt in der Selbstverwaltung des Wohnheims zu übernehmen, war ihn sehr groß.

Grundsätzlich gewährt das Studentenwerk den Studierenden nur sechs Monate Wohnzeit in ihren Häusern. Einzige Ausnahme: Engagement in der Selbstverwaltung. Pro Semester Tutorenarbeit wird den Studierenden ein weiteres Semester Wohnzeit gewährt.

Thies, bereits im 13. Semester an der Uni Bonn, wohnt seit seinem Studienanfang in einem Wohnheim. "Die Anlage ist sehr begehrt, total schön und liegt direkt am Naherholungsgebiet Messdorfer Feld", schwärmt er.

"Dort wollte ich unbedingt weiter wohnen." Mittlerweile ist Thies bereits "Ausländertutorenkoordinator": Er organisiert die Arbeit der rund 33 Ausländertutoren aller Wohnheime in Bonn.

Um an ein Tutorenamt und damit an die Verlängerung der Wohnzeit zu gelangen, müssen sich die Studierenden von der Hausversammlung, die einmal pro Semester tagt, wählen lassen.

Doch die Wahl alleine reicht für ein weiteres Semester Wohnrecht nicht aus; von den Amtsträgern wird auch Leistung erwartet. Im anschließenden Semester muss die Hausversammlung nochmals darüber abstimmen, ob der Tutor die Verlängerung durch seine Arbeit auch wirklich verdient hat.

Vor einigen Jahren waren die meisten Wohnplätze des Studentenwerks noch sehr begehrt, und die Selbstverwaltung hatte dementsprechend kaum Probleme, neue Kräfte zu rekrutieren.

Doch inzwischen hat das Studentenwerk auch mitten im Semester Wohnheimplätze frei, und die Umstellung der Studiengänge auf die durchstrukturierten Bachelor und Master lässt die Bereitschaft für ehrenamtliches Engagement schwinden. "In den neuen Studiengängen sind die Studierenden viel mehr eingespannt. Da bleibt für solche Ämter kaum Zeit", sagt Henrik Segelhorst.

Auch er ist schon seit Jahren ehrenamtlich aktiv und hat als Vertrauensstudent einen der höchsten Posten in der Selbstverwaltung. Segelhorst bildet die Nahtstelle zwischen dem Studentenwerk und den Gremien der Wohnheime.

Wenn es mal Streitfälle zwischen den Gremien gibt oder dem Studentenwerk zu Ohren gekommen ist, dass eine offizielle Party außer Kontrolle geraten ist, vermittelt Segelhorst zwischen den Parteien.

Der 27-jährige Physikstudent ist von dem System der vielen lokalen studentischen Gremien überzeugt: Bei kaum einer anderen Universität sei diese Tätigkeit so ausgeprägt wie in Bonn. "Mit der gesamten Arbeit der Selbstverwaltung holen wir die Studenten aus den Zimmern in die Gemeinschaft - und darauf bin ich stolz."

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