Ringen um jeden Millimeter Lunge

Spezialisten der Bonner Uniklinik operieren den ungeborenen Felix erfolgreich im Mutterleib

  Fünf Monate jung  ist der kleine Patient jetzt - und putzmunter.

Fünf Monate jung ist der kleine Patient jetzt - und putzmunter.

Foto: Uni Bonn

Bonn. (sj) Es war eine Schwangerschaft ohne Probleme. Doch bei einer zufälligen Untersuchung in der 28. Woche kam der Schock für Ute W. (Name geändert). "Mein Baby hatte ein großes Loch im Zwerchfell und eine viel zu kleine Lunge", berichtet sie. Wegen dieser Zwerchfellhernie war die Überlebenschance des Ungeborenen nach Meinung des Kinderarztes äußerst gering. Thomas Schaible und sein Team von der Mannheimer Universitäts-Kinderklinik behandeln jedes Jahr zahlreiche Kinder mit dieser Krankheit.

Um die Ungeborenen, denen nach Einschätzung der Mannheimer nicht auf herkömmlichen Weg geholfen werden kann, kümmert sich der Bonner Privatdozent Thomas Kohl, Leiter des Deutschen Zentrums für Fetalchirurgie und minimal-invasive Therapie (DZFT) am Universitätsklinikum Bonn.

Er bot der verzweifelten Mutter eine vorgeburtliche Operation an, um die Überlebenschance ihres Kindes zu verbessern. Noch ist ein solcher fetalchirurgischer Eingriff ein Experiment mit ungewissem Ausgang. "Bei der heutigen minimal-invasiven Technik ist jedoch die Gefahr für die Mutter sowie einer Fehl- oder Frühgeburt relativ gering", erklärt Professor Ulrich Gembruch, Direktor der Klinik für Geburtshilfe und Pränatale Medizin.

Bisher hat Kohl etwa acht Ungeborene mit einer lebensbedrohlichen Zwerchfellhernie in der 30. bis 35. Schwangerschaftswoche im Mutterleib behandelt.

Bei dem Eingriff führt Kohl über eine kleine Öffnung im Bauch der Mutter das Operationsgerät - so dick wie ein Kugelschreibermine - in die Fruchthöhle ein. Das so genannte Fetoskop entwickelte er zusammen mit zwei Feinmechanikern und der Tuttlinger Karl Storz GmbH speziell für diesen Eingriff. Vorsichtig tastet sich der Arzt damit - unterstützt durch Kamera und Ultraschall - über die Mundöffnung bis zur Luftröhre des Ungeborenen vor. Dort bläst er einen Mini-Ballon auf, der den Atemkanal verschließt.

Die vorgeburtliche Lunge produziert ständig Wasser, das jetzt über die blockierten Atemwege nicht mehr abfließen kann. Der so aufgebaute Flüssigkeitsdruck regt die Lunge an zu wachsen. "So ringen wir um jeden Milliliter Lunge", sagt Kohl.

Zwei bis drei Wochen bleibt der Ballon in der Lunge. Das Kind wird über die Nabelschnur mit Sauerstoff versorgt. Bei einem zweiten Eingriff kurz vor der Geburt wird der Ballon wieder entfernt, denn die Atemwege müssen dann wieder frei sein.

"Nur in Kooperation mit den Mannheimer Spezialisten haben die Kinder die beste Chance zu überleben", sagt Kohl. Kohl möchte seinen Eingriff betroffenen Schwangeren aus ganz Deutschland anbieten: "Zur Zeit ist die Zwerchfellhernien-Operation wegen ihrer Seltenheit ein experimenteller - wenn auch potenziell lebensrettender - Behandlungsversuch." Wenn allerdings das Angebot die meisten betroffenen Schwangeren erreichen würde, wären pro Jahr bis zu einhundert Eingriffe denkbar, schätzt Kohl.

Dann wären auch Studien mit einer großen Zahl an Patienten möglich, die aus dem Experiment ein etabliertes Therapieverfahren machen könnten.

Das Kind von Ute W. ist jetzt fünf Monate alt und entwickelt sich prächtig. Felix (Name geändert) hat sich gut eingelebt und ist putzmunter. Zur Zeit bekommt er noch Sauerstoff, und eine Magensonde hilft ihm, die Nahrung aufzunehmen. Doch auch das wird bald Vergangenheit sein. Zwar werde Felix mit seiner kleinen Lunge niemals Hochleistungssport betreiben können, so Kohl, doch könne er ein normales Leben führen. Und eins fühlt Ute W. tief in ihrem Herzen: "Wir würden uns wieder so entscheiden."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort