Neurowissenschaft im gemeinsamen Stuhlkreis

Uniklinik für Epileptologie hat Jungforschergruppe eingerichtet

Neurowissenschaft im gemeinsamen Stuhlkreis
Foto: Lannert

Bonn. Im Seminarraum 15 der Universitätsklinik für Epileptologie sitzen junge Menschen hintereinander im Kreis. Sie haben beide Arme ausgestreckt, die Hände schweben knapp über den Schultern ihres Vordermannes.

Am Rand steht Christian Hoppe, Doktor der Psychologie, und gibt Anweisungen: "Ihr müsst jetzt eure Augen schließen und nicht zum Hintermann gucken oder hinhören. Wenn ihr spürt, dass ihr an der Schulter berührt werdet, dann tippt ihr weiter."

Im ersten Durchgang ist es ganz einfach: Es wird immer auf die linke Schulter getippt. Hoppe gibt ein Signal und die Berührung läuft einmal um den Stuhlkreis - ein bisschen wie eine Welle im Stadion.

Beim zweiten Durchgang darf der Erste sich aussuchen, welche Schulter er antippt, und der Vordermann muss dann die Person, die vor ihm sitzt, auf derselben Seite antippen. Wieder wird der Kreis durchlaufen. Hoppe misst die Zeit und notiert sie.

"Wir haben versucht zu messen, wie schnell unser Gehirn eine Entscheidung trifft", erklärt hinterher Marcel Kehl. Und Nina Martschini erläutert: "Wir wussten beim zweiten Durchgang nicht auf welche Schulter uns getippt wird, wir mussten also noch eine Entscheidung treffen."

Deswegen dauert der zweite Durchgang länger als der erste - und zwar um soviel länger wie 15 Entscheidungen brauchen. Teilt man die Zeit durch die Zahl der Teilnehmer, hat man einen groben Wert dafür, wie lange das menschliche Gehirn für eine solche Entscheidung benötigt.

Marcel und Nina sind zwei von insgesamt 18 Schülern einer Jungforschergruppe, die Hoppe mit Unterstützung der Frankfurter Karg-Stiftung eingerichtet hat. Seit August treffen sie sich montags von vier bis sechs Uhr in der Klinik für Epileptologie und erhalten Informationen aus erster Hand - etwa über Neuroanatomie, bildgebende Verfahren, Neuropsychologie.

"Das ist ziemlich viel Stoff, den man sich da erstmal anhören muss", gibt Hoppe zu. Umso beeindruckender findet er die Motivation, die die Schüler an den Tag legen: "Die kommen sehr zuverlässig - und immer noch alle", sagt er.

Und sie seien alle sehr stark belastbar. Sehr engagiert sind sie allesamt. Marcel ist 18, neben der Schule hört er Vorlesungen in Astronomie. Nina geht in die 11. Klasse des Hochbegabtenzweigs der Christopherusschule in Königswinter. Nebenbei studiert sie an der Uni Mathematik.

"Ich habe mich für das Programm interessiert, weil ich Medizin ein interessantes Studienfach finde", meint sie. Leicht sei die Jungforschergruppe nicht. "Es ist alles auf Englisch, das ist schon schwer." Marcel sieht das genauso: "Man muss sich halt anstrengen."

Ursprünglich sollten nur acht Schüler am Programm teilnehmen, aber am Ende waren 18 der eingegangenen Bewerbungen so vielversprechend, dass die Gruppe vergrößert wurde. "Die meisten Teilnehmer haben eine Schulklasse übersprungen, sind in Profilklassen", sagt Hoppe.

Dass dabei seine Freizeit zu kurz kommt, findet Marcel nicht: "Manche meiner Freunde kommen ja auch mal mit in die Uni, auch ohne dass sie am Programm teilnehmen. Dadurch ist das dann ja auch so was wie Freizeit." Das Programm ist ambitioniert. Zunächst werden Grundkenntnisse in Psychologie, den Neurowissenschaften und Statistik vermittelt.

Danach sollen die Schüler aktiv bei der Forschungsarbeit helfen um später möglicherweise sogar als Koautoren auf eine Veröffentlichung in einem Fachjournal zuzusteuern. Voraussichtliches Thema: die Hochbegabung.

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg - und es gibt vieles zu lernen. Momentan ist das Statistik. Nach dem Experiment am Anfang heißt es deswegen: Daten eingeben. Das ist "trockener Stoff, der eben auch dazu gehört", sagt Hoppe. Aber mit dem Frontalunterricht ist es bald vorbei. Demnächst beginnt der praktische Teil.

"Ich denke, dass das das Highlight wird" sagt Marcel. Vor allem bei der Rekrutierung von Probanden sollen die Schüler dann helfen - aber auch bei der Pilotierung. So wird die Phase in der Vorbereitung einer Studie genannt, bei der getestet wird, wie schwer und wie aussagekräftig die Aufgaben sind, die die Probanden später lösen sollen.

Auch Antonia Villinger sagt, sie freue sich schon auf den praktischen Teil. Montagabend um sechs Uhr steht die 17-Jährige im Foyer der Klinik für Epileptologie und beginnt ihren Heimweg. Knapp zwei Stunden dauert es, bis sie wieder zu Hause in Köln sein wird.

"Aber es ist die Sache wert", sagt sie und lächelt. Dann verlässt sie das Gebäude. Draußen ist es inzwischen dunkel, die futuristisch anmutende Epileptologie-Klinik wird effektvoll angestrahlt. Für Antonia und ihre 17 Mitschüler jedenfalls ist wieder ein interessanter Spätnachmittag vorbei.

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