Zurück ins Mittelalter? Mehr Impfgegner: Masern im niederländischen Bibelgürtel

Krakau · Die Zahl von Impfgegnern wächst in vielen Ländern der Welt. Was das bedeuten kann, zeigt eine Untersuchung von Masern-Fällen in einer religiösen Gemeinschaft.

 Ein Kreuz steht auf einem Impfpass, in dem eine Kombiimpfung für Masern, Mumps und Röteln eingetragen ist.

Ein Kreuz steht auf einem Impfpass, in dem eine Kombiimpfung für Masern, Mumps und Röteln eingetragen ist.

Foto: Marius Becker

Etwa alle zwölf Jahre kommt es im niederländischen Bibelgürtel zu einem Masernausbruch mit etwa 2500 Erkrankten.

In dieser religiösen Gemeinschaft sind weniger Menschen gegen das Masern-Virus geimpft als nötig wären, um eine Ausbreitung des Virus dauerhaft zu verhindern. Wissenschaftler aus Polen und den USA haben den Kreislauf nun genauer untersucht und präsentieren ihre Ergebnisse im Fachblatt "BioSystems".

Der festgestellte Rhythmus entsteht, weil die Zahl ungeimpfter Menschen langsam ansteigt, bis genügend potenzielle Krankheitsopfer vorhanden sind. Dann kann sich das Virus ausbreiten. Nach etwa einem Jahr verschwindet der Erreger zunächst. Ein Grund dafür: Viele Menschen, die die Krankheit überstanden haben, sind nun immun. Erst durch neue Geburten wächst wieder die Zahl der Menschen, die sich mit dem Virus anstecken können. Eine neue Krankheitswelle beginnt.

Sie nehmen an, dass künftig auch in anderen Städten und Regionen die im Bibelgürtel beobachtete Situation auftreten könnte, etwa wenn in einer Stadt die Zahl von Impfgegnern steigt.

Bis vor etwa einem halben Jahrhundert waren Masern in fast der gesamten Welt verbreitet, die Zahl der Krankheitsfälle war also relativ gleichbleibend hoch, schreiben die Forscher um Bartosz Lisowski vom Jagiellonian University Medical College in Krakau (Kraków). Mit der Einführung der Masern-Impfung - in den 1960er und 1970er Jahre in der westlichen Welt und seit 2000 in vielen Entwicklungsländern - sei die Zahl der Erkrankungen erheblich gesunken. Noch 1980 starben 2,6 Millionen Menschen an der Viruskrankheit, 2011 waren es weniger als 90.000. Zwischenzeitlich schien sogar die Ausrottung der Masern möglich. Heute sei dieses Ziel in weite Ferne gerückt, so die Forscher.

Ein Grund: In vielen europäischen Ländern liege der Anteil geimpfter Kinder heute unter 95 Prozent - die Rate, die für nötig erachtet wird, um eine Ausbreitung der Viren in einer Gruppe zu stoppen. Das liege zum einen an der wachsenden Zahl von Menschen, die Impfungen für überflüssig oder sogar gesundheitsschädlich hielten. Zum anderen führten auch Kriege oder Flüchtlingsbewegungen dazu, dass Kinder nicht wie vorhergesehen geimpft werden können.

Welche Folgen das für die Ausbreitung des Masern-Virus haben könnte, studierte das Team um Lisowski nun im niederländischen Bibelgürtel, ein etwa 200 Kilometer langer und mehrere Kilometer breiter Korridor, der sich von Middelburg im Südwesten bis nach Zwolle im Osten des Landes zieht. Dort leben etwa 250.000 streng-reformierte Niederländer, hauptsächlich in etwa 30 mittelgroßen Städten. Ein Teil dieser Menschen erachtet Impfungen als nicht natürlich und lehnt sie deshalb ab. Die Mehrheit - Schätzungen zufolge etwa 60 Prozent - der Kinder sei aber dennoch geimpft.

Seit der Einführung von Impfprogrammen in den Niederlanden im Jahr 1976 bis zum Jahr 2016 ist es nach Angaben der Forscher dreimal zu einem Masern-Ausbruch im Bibelgürtel gekommen, der etwa ein Jahr lang anhielt und jeweils etwa 2500 Menschen betraf. Der Abstand zwischen den Ausbrüchen - der letzte fand 2013/14 statt - betrug jeweils zwölf Jahre.

Vor Einführung der Impfprogramme sei das Virus innerhalb der religiösen Gemeinschaft genauso verbreitet gewesen wie im Rest des Landes, erläutern die Forscher. Die Zahl der Erkrankungen war in etwa konstant. Danach habe sich die Situation geändert: Die Zahl der ungeimpften Menschen war nur unter den Protestanten hoch genug, dass das Virus genug neue "Opfer" fand, um sich in der Gruppe auszubreiten, vor allem unter Schulkindern im Alter von etwa zehn Jahren.

Das periodische Auftreten der Masern sei grundsätzlich schlimmer als eine permanente Verbreitung des Virus, so die Forscher weiter. Diejenigen, die die Erkrankung überstanden haben, sind lebenslang immun dagegen - sie können nicht noch einmal erkranken. Wer aber als Kind nicht erkrankte, ist beim nächsten Ausbruch mit gewisser Wahrscheinlichkeit bereits im Erwachsenenalter. Die Masern verlaufen im höheren Lebensalter oft schwerer, schreiben die Forscher. Tatsächlich seien auch bei den drei Ausbrüchen im Bibelgürtel zunehmend mehr Erwachsene erkrankt, die Zahl der Krankenhauseinweisungen sei gestiegen.

Das, was im Bibelgürtel geschehe, sei womöglich ein Beispiel für das, was künftig auch andernorts drohe. So habe es 2015 einen Masernausbruch mit 1243 registrierten Fällen in Berlin gegeben. Er sei aus zwei Quellen befeuert worden: zum einen durch Kinder von Eltern, die Impfungen ablehnen; zum anderen durch Flüchtlinge, etwa aus Syrien oder dem früheren Jugoslawien, wo durch die Kriege die Gesundheitssysteme kollabiert seien.

Die sinkenden Impfraten würden die entwickelte Welt nicht unmittelbar in die Zeit der großen Epidemien des 19. Jahrhunderts zurückbringen, betonen die Forscher. Zunächst werde es immer häufiger zu lokalen Ausbrüchen kommen. Die Viren würden sich voraussichtlich an die neuen Gegebenheiten anpassen und etwa in eine Richtung entwickeln, in der sie sich unter der kleineren Gruppe von empfänglichen Menschen besser ausbreiten könnten. Sie könnten etwa vor dem Ausbruch der ersten Symptome länger ansteckend sein und dadurch ihre Chancen erhöhen, weitergegeben zu werden. Es sei eine besorgniserregend Entwicklung, sollte sich der Trend nicht umkehren, bedeute dies auch einen kleinen Schritt in Richtung finsteres Mittelalter.

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