Uni Bonn: Warum Studenten nicht mehr diskutieren Kulturwechsel im Hörsaal

BONN · Wer vor dem Hereinbruch der Bachelor-Uni studiert hat, der tat dies in einer anderen Welt. Da hieß es, erst mal zu lernen, gut. Aber dann: Das Gelernte diskutieren! Neu strukturieren! Kritisieren! Individualisieren! Selbstständig weiterdenken!

Und niemals fragen, ob aus all dem jemals Geld herausspringt! Heutige Studenten sind anders. Sie wollen all das nicht mehr - weil sie zu Recht meinen, dass es sie auf dem Weg zum nächsten Kreditpunkt, zum Examen, zum Job nur aufhält.

So konstatiert es zumindest Christiane Florin, Politologin, Journalistin und Lehrbeauftragte an der Universität Bonn. Sie versteht die Welt nicht mehr, in die sich die Unis der Republik verwandelt haben, und hat ihrem Ärger in einem Buch mit frustriertem Titel Luft gemacht: "Warum unsere Studenten so angepasst sind".

Über lange Strecken gleicht das kurze, aber inhaltsreiche Druckwerk einer sehr emotionalen Streitschrift. Knallig formulierte Sätze in einer Menge und einem Tempo, dass die Auswahl eines Zitats schwer fällt. Grundfarbe dieses Feuerwerks ist: Heutzutage prallen in Hörsaal und Seminarraum zwei Kulturen aufeinander.

Was ist Bildung? Selbstzweck, sagt der Dozent. Mittel zum Zweck, sagen die Studenten - und verstehen gar nicht, wo das Problem liegt, wenn sie, wie Florin (ver-)urteilt, nicht mehr selbstständig lernen, nicht mal mehr selbstständig denken wollen. Die Lerneinheiten der Modul-Uni prasseln auf sie nieder. Sie nehmen sie willig hin.

Wo soll das Problem sein? Hinzu kommt die Wissens-Automatisierung des Internet-Zeitalters. Warum sollte man lernen, wer die Kanzler der Bundesrepublik Deutschland waren, fragen angehende Politologen etwa - wo man das doch flugs per Smartphone nachschauen kann?

Mit einer Mischung aus Verblüffung und Erschaudern plaudert die Autorin zudem aus dem Nähkästchen eines Prüfungssystems, in dem die Leistungen ins Bodenlose sinken, die Zensuren aber nicht - weil jede Referatsnote fürs Examen zählt und die Dozenten ihren Studenten nicht die Zukunft ruinieren (oder/und, was auch Florin zugibt, einfach keinen Stress haben) wollen.

Da ist die Chuzpe junger Menschen, denen allerlei Sonntagsredner erzählt haben, sie seien "die Zukunft" - und denen man nicht vorwerfen kann, wenn sie's dann glauben. Die Studentin etwa, die in der Klausur ein fast leeres Blatt abgibt, zur Nachprüfung nicht erscheint - und später per Mail fragt, wo denn ihr Leistungsschein bleibe.

Eine Ursache für all das sieht Florin im System. Die Bildungspolitiker wollten eine Hochschule der Nachmessbarkeit und Vergleichbarkeit. Sie haben sie gekriegt, sagt die Autorin - und zwar als Teil des zeitgenössischen Systems virtueller Maschinen, deren Benutzer sich einander darstellen, verkaufen, bewerten, empfehlen, auf sich selbst beziehen und am Muster des Bestbewerteten ausrichten. Dieses Bestbewertete ist das Meistverbreitete: "Unsere Module sind Konsumgüter, die an- und weggeklickt werden wie eine Kaufempfehlung bei Amazon."

Ja, Florins kleines Buch ist sehr subjektiv. Es löst die Probleme nicht. Es diskutiert sie auch nicht - denn eigentlich fehlt der Gesprächspartner. Aber es nennt sie beim Namen. Das ist ein Anfang.

Christiane Florin: Warum unsere Studenten so angepasst sind. Rowohlt-Tb., 80 S., 4,99 Euro

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