"Kinder, die nicht lesen, sind benachteiligt"

Bonner Uni-Institut für Erziehungswissenschaft stellt beim Dies eine Kinder- und Jugendbuchinitiative vor

Bonn. Liest sie nun, die Jugend, oder liest sie nicht? Der im wahren Wortsinn magische Erfolg des neuen Buchhelden Harry Potter scheint alle Lügen zu strafen, die durch den Einzug von Fernsehgerät und Computer in Kinderzimmer den Fortbestand der abendländischen Lesekultur bedroht sehen. Für den Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin gibt es jedoch trotz des Potter-Booms keinen Grund zur Entwarnung: "Kinder, die nicht lesen, sind benachteiligt!"

Neuere Forschungen - unter anderem die empirischen Untersuchungen des Augsburger Medienpädagogen Werner Glogauer - haben überdies nachgewiesen, dass der übermäßige Gebrauch von "elektronischen Bildmedien" (sprich: Fernsehen und Computer) bei Kindern und Jugendlichen Entwicklungsverzögerungen oder sogar -störungen verursacht. Deshalb entschloss sich Ladenthin, leitender Professor am Institut für Erziehungswissenschaft (IfE) der Uni Bonn, eine Kinder- und Jugendbuchinitiative ins Leben zu rufen. Am Dies academicus wird sie vorgestellt und mit zwei Vorträgen angeschoben. Am anschließenden Gespräch beteiligt sich auch Professor Klaus Ring, der Geschäftsführer der Stiftung Lesen.

Nach dem Motto "Nicht nur reden, sondern handeln" hat das Institut mitgeholfen, die seit 1984 bestehende Vereinigung "Rheinische Kinderbuchgesellschaft" in einen Verein umzuwandeln. Das IfE ist neben Volkshochschule und Borromäusverein Mitträger des Vereins, der künftig als Arbeitsplattform alle Aktivitäten zur Förderung der Kinderliteratur bündeln soll.

Dieser Verein, dem Ladenthin vorsitzt, wird kein Debattierclub, sondern versteht sich durchaus als Dienstleister: Er will Lesungen vermitteln, Vortragsveranstaltungen organisieren und Weiterbildung für Lehrer und Erzieher anbieten. Mit drei Großveranstaltungen im Jahr soll öffentlich Flagge gezeigt werden. Sie werden thematisch für drei verschiedene Zielgruppen ausgerichtet: für Kinder und Jugendliche, für Eltern und Erzieher und für die so genannten Multiplikatoren, also Pädagogen, Bibliothekare, Buchhändler. Themen wie "Märchen und Mythen", Familienproblematik, Sexualität oder auch "Umgang mit neuen Medien" sind geplant, außerdem Lese- und Spielveranstaltungen mit Autoren aus der Region an Schulen und Pfarreien. Arbeitsmotto: "Ausflug in die Fantasie".

Wichtig ist den Initiatoren die Mittlerrolle. Die Bonner Region hat zur Leseförderung schon Einiges zu bieten: Buchläden, Bibliotheken, Schulen, Pfarreien, und nicht zuletzt das Bilderbuchmuseum in Troisdorf. All diese Institutionen will der Verein sinnvoll vernetzen, inhaltlich unterstützen und ihre Aktivitäten koordinieren. Die Stadt Bonn hat Unterstützung mit Rat, Tatkraft und Finanzen zugesagt.

Dem Erziehungswissenschaftler geht es nicht darum, die elektronischen Medien zu verteufeln. Aber einen "maßvolleren Umgang" damit hält er für unerlässlich: Ladenthin: "Kinder zwischen drei und fünf Jahren sehen durchschnittlich 90 Minuten Fernsehen pro Tag!" Das ist zuviel, findet der Medienpädagoge: "Fernsehen kann nicht die Betreuung durch Menschen ersetzen." Mittlerweile ist auch nachgewiesen, dass viele Glotzenhocker außer Störungen in der Motorik auch Defizite im kognitiven Bereich davontragen: Dauerfernsehen behindert die Sprachentwicklung.

Das ist auch ein Rüffel an allzu sorglose Eltern. Sie könnten schon früh dazu beitragen, dass ihr Nachwuchs sich für Bücher interessiert. Da tut noch ein wenig Aufklärung Not, denn viele Eltern wissen nicht, dass Lesen - Spaß bringt es natürlich auch - mehrere wichtige Kompetenzen trainiert: Konzentrationsfähigkeit, Vorstellungsvermögen, Fantasie-Entwicklung, Eigeninitiative und das Verstehen anderer Positionen durch Nach-Denken. Die Inhalte der Bücher sind dabei zweitrangig.

Der neue Verein muss weitere Konzepte entwickeln, wie er gerade den hohen Anteil der Nichtleser erreicht, das weiß auch Ladenthin. Dazu gibt es auch schon ein paar Überlegungen: Grundschulen bieten sich als Veranstaltungsort an, Lehrer als Vermittler, Kinderarztpraxen, Jugend-Cafés. Ladenthin: "Wir sind offen für Ideen."

Hörsaal V, 16.15 bis 18 Uhr, Vorstellung der Förderinitiative, anschließend Vorträge: "Was haben Bücher den anderen Medien voraus" (Professor Volker Ladenthin) und "Sprache, Bild und kindliches Erleben" (Professor Wolfgang Baßler)

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