Fahndung nach Pfarrer Hahns Meisterstücken

Professor Bernhard Korte forschte nach dem Funktionsprinzip einer Rechenmaschine, die im 18. Jahrhundert alles in den Schatten stellte - Nun bekommt er dafür eine Auszeichnung

Bonn. Philipp Matthäus Hahn (1739-1790) hatte sich seinen Aufgaben als Geistlicher mit Leib und Seele verschrieben. Er übersetzte in Albstadt das Neue Testament, verfasste ein Predigtbuch und andere theologische Werke. Doch sein Herz schlug auch für das mechanische Tüfteln. Wegen seines Interesses für den bestirnten Himmel fertigte er Geräte mit astronomischem Bezug und entwickelte sich allmählich zu einem der besten Uhrmacher.

Er baute Taschenuhren, Sonnenuhren, Barometer, Blitzableiter - und auch Rechenmaschinen, die seinerzeit alles andere in den Schatten stellten. Die Konstruktion beherrschte die vier Grundrechenarten und konnte mühelos bis zu elfstellige Ergebnisse liefern. Doch seine feinmechanische Neigung war für den Pfarrer offenbar nicht frei von Konflikten. Am 10. August 1773 schrieb Hahn in sein Tagebuch: "Was Rechnungsmaschine, was astronomische Maschine, das ist Dreck! Jedoch um Ruhm und Ehre zum Eingang und Ausbreitung des Evangelii zu erlangen, will ich die Last noch weiter tragen."

Der Geistliche widmete sich weiter der "Last" und begründete die feinmechanische Industrie in der Region Zollernalbkreis. "Er war kein gelernter Uhrmacher, aber Ehrenmitglied der Innung", berichtet Professor Bernhard Korte, der sich eingehend mit den Maschinen und den Tagebüchern des Pfarrers befasst hat. Schon als Kind habe Hahn mit einem Freund nächtelang Uhren zerlegt und mechanische Kunststücke vollbracht.

Korte ist Direktor des Forschungsinstituts für Diskrete Mathematik der Universität Bonn und hat sich mit dem Design von Computerchips Weltruf erworben. Die mechanischen Rechner sind sein Hobby. Aus seiner privaten Sammlung historischer Rechenmaschinen ging das Arithmeum in Bonn hervor - das Museum für "Rechnen einst und heute". Pfarrer Hahns kreisrunde Meisterstücke standen für etliche kunstvolle Rechenmaschinen anderer Tüftler Pate.

Korte und seine Mitarbeiter aus dem Arithmeum begaben sich mit kriminalistischem Gespür auf eine mehrjährige Spurensuche, um mehr über Hahns Rechenmaschine und ihre Bedeutung zu erfahren. Zwei Rechenmaschinen, die Hahn zugeordnet werden, sind heute noch erhalten: Eine im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart und eine andere im Landesmuseum für Technik und Arbeit Mannheim, die jedoch inzwischen eher Hahns Sohn zugeordnet wird.

Das Team untersuchte auch Rechenmaschinen anderer Erbauer, die dem Konstruktionsprinzip Hahns folgten. Darunter die von Johann Christoph Schuster (1820-1822), der ein Schüler und Schwager des Mechaniker-Pfarrers war. Diese Apparatur ist im Arithmeum zu sehen, das die wundervoll verzierte Maschine 1999 angekauft und mit großem Aufwand restauriert hat. 2002 zierte sie sogar eine Sondermarke der Deutschen Post.

"Der technische Grundaufbau dieser Rechenmaschinen hat sich im Lauf eines halben Jahrhunderts nicht wesentlich geändert, doch einige Details wurden verbessert" , berichtet Korte. Die etwa 1 500 Einzelteile der Hahnschen Maschine sind alle von Hand gefeilt. Davon zeugen noch Schleifspuren auf den Oberflächen. "Deshalb hat es auch mehrere Jahre bis zur Fertigstellung gedauert", erläutert Arithmeum-Leiterin Ina Prinz.

Jedes Schräubchen und jedes Gewinde ist einzeln gefertigt. Prinz: "Deshalb passt jede Schraube nur in ein ganz bestimmtes Gewinde." Bei ihren Nachforschungen entdeckten Korte und seine Mitarbeiter ein interessantes Detail. Beim Zerlegen der Stuttgarter Rechenmaschine von Hahn stießen sie auf neun eigenartige Bohrungen, die zuvor von einer Email-Verblendung verdeckt waren. Die Experten rätselten, für welchen Zweck diese Löcher gebohrt worden waren.

Erst nach dem intensiven Studium der Tagebücher von Pfarrer Hahn und dem Vergleich mit weiteren Rechenmaschinen, die die Experten bis nach Göteborg führten, konnten sie den Vorgang rekonstruieren.

"Die Maschine ist offensichtlich komplett umgebaut worden" , erläutert Prinz. Die Wissenschaft hatte bislang vermutet, dass Hahn zur Darstellung der Zahlen so genannte Staffelwalzen verwendet hat, wie das auch Leibniz (1646-1716) tat, die mit Hilfe unterschiedlich langer Rippen in das Rechenwerk der Maschine greifen. Die Recherchen zeigten jedoch, dass die Löcher für den Einstellstift eines Repetierwerks einer Uhr bestimmt waren. "Für ihn als Uhrmacher lag diese Technik auch nahe", meint die Arithmeum-Leiterin. Später sei die Stuttgarter Maschine mit Staffelwalzen umgebaut worden - die neun Löcher blieben übrig.

Auf 118 Seiten geht Korte in der Ausgabe 203 der Patrimonia-Reihe der Kulturstiftung der Länder auf die Rechenmaschine von Hahn, Schuster und anderen intensiv ein. Für dieses grundlegende Werk und die neuen Erkenntnisse über Repetierwerke bei Hahn bekommt der Bonner Mathematiker diesen Freitag, 24. November, in Kornwestheim den Philipp-Matthäus-Hahn-Preis aus der Hand des Rektors der Tübinger Universität verliehen. Korte: "Nun bekomme ich auch schon Preise für mein Hobby - merkwürdig." Die 3 000 Euro, die mit der Auszeichnung verbunden sind, sollen in die Stiftung des Arithmeums fließen.

Die Rechenmaschine von Johann Christoph Schuster 1820/22. Kulturstiftung der Länder, Patrimonia, Ausgabe 203, 118 S., 24 Euro

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort