Fahndung nach der unsichtbaren Materie

Im Universum versteckt sich sehr viel Masse, die mit den gängigen Messmethoden nicht aufzutreiben ist - Bonner und Bochumer Wissenschaftler erforschen diese unbekannten Strukturen

Bonn. Kein Mensch hat sie je gesehen. Doch Astronomen sind sich sicher, dass es sie gibt: Dunkle Materie, die in den Weiten des Universums heimisch sein soll. Sie heißt so, weil sich diese Art der Materie der direkten Beobachtungen der Wissenschaftler entzieht, also "dunkel" erscheint.

"Wir suchen nach etwas, wovon wir nicht wissen, wie es aussieht", sagt Professor Klaas S. de Boer von der Fachgruppe Physik/Astronomie der Bonner Uni. Astrophysiker der Universität Bonn und der Ruhr-Universität Bochum wollen ab April weitere Untersuchungen zu diesem Kuriosum anstellen. Dazu hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jetzt ein neues Graduiertenkolleg genehmigt.

Indizien im Universum

Immer wieder sind Astronomen auf Indizien gestoßen, dass es diese unsichtbare Materie tatsächlich gibt. Sie erfüllt in den Theorien der Wissenschaftler die Funktion eines Platzhalters: Um bestimmte Phänomene im Weltraum mit den gültigen physikalischen Gesetzen erklären zu können, brauchen die Wissenschaftler deutlich mehr Masse, als sie bislang über direkte Beobachtungen nachweisen konnten.

Einen klaren Hinweis liefert beispielsweise der Galaxienhaufen Abell 3528, den große Mengen hell leuchtenden, rund zehn Millionen Grad heißen Gases umschwirren. Nach den Beobachtungen der Forscher verfügt der Galaxienhaufen jedoch eigentlich über zu wenig Masse, um dieses Gas zu binden. Die Hitzewolken müssten deshalb ins Universum entfleuchen - was sie aber nicht tun. Irgendwo muss also unsichtbare Materie versteckt sein, deren Schwerkraft das Gas anzieht.

Ein weiteres Beispiel für ein Indiz: Seit den 80er Jahren beobachten Astronomen in der Nähe von massenreichen Galaxien merkwürdig leuchtende Bögen. Nach den Erkenntnissen der Forscher wird dabei Licht durch Schwerkraft abgelenkt, die bekannte Masse der Galaxien reicht dafür aber nicht aus. Offenbar verbirgt sich auch hier unbekannte Materie. Im ganzen Universum fehlt also nach den gängigen Theorien der Forscher irgendwo Masse.

Die Wissenschaftler rätseln: Handelt es sich dabei um "normale" oder um irgendeine "exotische" Materie? Oder sind gar die Gesetze der Schwerkraft nach Newton und Einstein unvollständig? Die Bochumer und Bonner Wissenschaftler sowie mehrere Doktoranden werden die nächsten Jahre in dem Graduiertenkolleg die Struktur, Entwicklung und Wechselwirkung der Galaxien untereinander erforschen.

Davon versprechen sie sich ein viel tieferes Verständnis von den Ursprüngen des Universums. Für die Inspektion der Sternsysteme kommen Teleskope in Deutschland, den Niederlanden, Australien, New Mexico und der Europäischen Südsternwarte in Chile in Frage. Während ihrer Fahndung wollen die Forscher auch die Dunkle Materie in der Milchstraße nochmal genauer unter die Lupe nehmen. Sie präsentiert sich dem Betrachter als eine Scheibe von Sternen.

"Ist die Schwerkraft groß, erscheint die Scheibe dünn", erläutert de Boer. Auch daran lässt sich der Einfluss von - dunkler? - Materie erkennen. Beim Blick durch das Teleskop wirken zwar auch mehrere Stellen der Milchstraße dunkel. Das sind aber interstellare Gaswolken, die den hellen Hintergrund vernebeln. Unsichtbare Materie versteckt sich woanders.

Nach den Schätzungen der Wissenschaftler gibt es im Universum etwa zehn Mal soviel Dunkle Materie wie sichtbare. "Das bedeutet, dass wir 90 Prozent von den Dingen vor unserer Haustür nicht sehen", fasst de Boer die Konsequenz dieser Erkenntnislücke zusammen. Was den Kosmos angeht, ist der Mensch also fast blind.

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