"Fachliche Breite gerät zur Schwäche"

Der Wissenschaftsrat attestiert den Bonner Agrarwissenschaften mangelndes Profil

Bonn. (sj) "Vom Acker bis zum Teller" - so lautet das Motto der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn. Die Wissenschaftler sind stolz auf ihr breites Spektrum, das sich mit allen Aspekten der Nahrungsmittelkette von der Erzeugung bis zum Verbraucher befasst. Nun kritisiert jedoch der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen zur Entwicklung der Agrarwissenschaften, dass diese fachliche Breite eher zu einer Schwäche als zu einer Stärke gerate.

"Die thematische Spanne zwischen Bodennutzung und Qualitätssicherung bei Lebensmitteln ist zu groß", schreibt der Wissenschaftsrat, das wichtigste wissenschaftliche Beratungsgremium von Bund und Ländern. "Letztlich ist die derzeitige fachliche Aufstellung nicht geeignet, der Fakultät eine gute Position im Wettbewerb zu sichern." Sie nutze ihre Stellung als einzige Agrarfakultät in Nordrhein-Westfalen und ihr Potenzial nicht aus. Die Fakultät erscheine derzeit "nicht als Innovationsmotor oder als eine für die angestrebte Rolle der Universität in der Spitzenforschung unentbehrliche Kraft". Vielmehr leide der Kernbereich der Agrarwissenschaften an einem Mangel an Profil.

Die Defizite führt der Rat auf den "schwierigen Spagat zwischen Grundlagenforschung und Anwendungsorientierung bis hin zur Umsetzung" zurück. Das Wissenschaftsministerium erwarte eine Stärkung der Grundlagenforschung, etwa indem die Fakultät einen Sonderforschungsbereich einwirbt. Das Agrarministerium verlange hingegen ein starkes Engagement in der Anwendung, Umsetzung und Politikberatung.

Die Agrarfakultät nutze jedoch zu wenig Chancen für grundlagenorientierte Forschung mit den Biowissenschaften der Universität Bonn. Deshalb gebe es bislang auch keine vertiefte Kooperation etwa mit dem Forschungszentrum Jülich oder dem Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln. Und in der Ausbildung der Agrar- und der Ernährungswissenschaftler mangele es an ausreichender Vermittlung molekularer und zellbiologischer Grundlagen.

Der Wissenschaftsrat empfiehlt einen Austausch zwischen Biologie und Agrarwissenschaften in Forschung und Lehre, eine stärkere Kooperation mit Jülich und Köln sowie eine Stärkung der Grundlagenforschung durch "gezielte Profilprofessuren". Insgesamt sei eine Konzentration auf wenige Kernthemen erforderlich. Allerdings solle auch die Universität die gleichzeitige Ausrichtung der Fakultät auf Grundlagen und Umsetzung bei der Verteilung der Gelder "angemessen" berücksichtigen.

Professor Heiner Kuhlmann, stellvertretender Dekan der Bonner Landwirtschaftlichen Fakultät, entgegnet, dass sich die Kritik im wesentlichen auf die Agrarwissenschaften beschränke. "Die Ernährungswissenschaften kommen hingegen sehr gut weg." Der Geodäsie als dritter Säule der Fakultät habe die Deutsche Forschungsgemeinschaft vor zwei Jahren "hervorragende wissenschaftliche Leistungen" bescheinigt.

"Der Wissenschaftsrat räumt der Grundlagenforschung große Priorität ein", meint Kuhlmann. "Die Agrarwissenschaften machen aber wegen ihres breiten Spektrums einen anwendungsbezogenen Forschungsansatz notwendig." Da das Land Nordrhein-Westfalen keine eigenen Ressortforschungseinrichtungen habe, sei besonders die Politikberatung in Bonn gefragt.

Trotzdem habe sich die Bonner Agrarwissenschaft um Kooperationen mit der Biologie bemüht. Die Fakultät arbeite etwa im Centrum für Molekulare Biomedizin mit und beteilige sich am geplanten Masterstudiengang "Pflanzenwissenschaft". "Bei der Berufung neuer Professoren achten wir bereits auf Grundlagenorientierung." Kuhlmann widerspricht der Kritik, dass die Fakultät zu wenig aus ihrem Potenzial mache: "Wir haben bundesweit am meisten Studienanfänger in den Agrarwissenschaften."

Die Forderung des Wissenschaftsrats nach einer engeren Verzahnung von Agrar- und Ernährungswissenschaften habe die Fakultät außerdem mit dem Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften bereits realisiert. "Offenbar haben sich die Maßstäbe in den vergangen Jahren grundlegend geändert", sagt Kuhlmann. "Statt der Breite sind nun scharf umgrenzte Profilbereiche gefragt." Das Gutachten liefere wertvolle Hinweise. "Wir werden die Kritikpunkte aufgreifen."

Infos unter www.wissenschaftsrat.de

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