"Erfurt ist nur die Spitze des Eisbergs"

Das Bonner Informationszentrum Sozialwissenschaften bietet ein Internetportal zur Gewalt an Schulen

Bonn. (uwh) "Das eigentliche Problem ist nach wie vor die alltägliche Gewalt, die weit unter der Schwelle von Massaker und Blutbad liegt, aber dennoch nicht weniger bedrohlich oder verheerend ist." Mit dieser Analyse eröffnete das Informationszentrum Sozialwissenschaften (IZ) Bonn nach dem Amoklauf von Erfurt ein Internetportal zum Thema "Schule & Gewalt".

Im regen Interesse an dem vielfältigen Angebot sieht der IZ-Mitarbeiter und Projektbetreuer Helmut M. Artus bestätigt, dass der Wunsch nach weiteren Informationen groß ist. "Wir wollen dem interessierten Laien ein breites Spektrum von der tagesaktuellen Meldung bis hin zu sozialwissenschaftlichen Forschungsarbeiten eröffnen, ohne dass er viel suchen muss."

Katastrophen wie in Erfurt seien nur die "Spitze des Eisbergs". Mobbing, Erpressung, Diebstahl und Körperverletzung herrschten längst auf deutschen Schulhöfen, so der Sozialwissenschaftler. Bereits 1999, nach dem Massaker in einer Schule im amerikanischen Littleton hatte das Informationszentrum dem Thema "Gewalt in der Schule" eine Dokumentation gewidmet. Sie wurde nun fortgeschrieben und stellt 114 sozialwissenschaftliche Veröffentlichungen und Forschungsprojekte von 1999 bis heute vor.

"Damit haben wir den Zeitraum seit 1995 abgedeckt", so Artus. Das neue Internetportal "FOKUSplus" bietet noch mehr: "Wir versuchen, Informationen verschiedener Art zusammenzustellen, nicht nur zu unterschiedlichen Facetten des Themas, sondern auch mit verschiedenen Graden der Aktualität."

Etwa unter der Rubrik "Warum?": Ursachen, Gründe, Motive und Erklärungsversuche für Gewalttaten von Kindern und Jugendlichen. Welchen Einfluss haben die Medien? Welche Rolle spielen Waffen?

Links führen zu Texten, Zeitungsartikeln und Debatten über Gewalt unter Jugendlichen, über Computerspiele, Filme und Jugendkultur. Die Rubik "Aus erster Hand" liefert einschlägige Dokumente, Stellungnahmen, Interviews. Umfangreich ist auch das Angebot zur Vorbeugung "Was kann man tun?". Dort gibt es unter anderem Tipps für Schüler, wie sie Streit schlichten können sowie praxisnahe Ratschläge für das Verhalten in bedrohlichen Situationen.

Verschiedene schuleigene Initiativen gegen Gewalt hat Artus ebenfalls in das Internetportal aufgenommen. Als Zusatzservice kommentiert der Sozialwissenschaftler die aufgeführten Angebote knapp und gibt Empfehlungen, für wen sie besonders geeignet sind.

"Die Opfer haben wir natürlich auch im Blick", sagt er. "Überlebende traumatischer Ereignisse brauchen Unterstützung bei der Bewältigung." Informationen über spezielle psychotraumatologische Institute sowie Anlaufadressen sollen dabei weiterhelfen. Das Informationszentrum will mit der Internetplattform "Schule & Gewalt" den Fluss sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse in die breite Öffentlichkeit vorantreiben. Es stellt neueste Publikationen, Forschungsvorhaben und Ergebnisse von Meinungsumfragen vor. Darüber hinaus gibt die Internet-Datenbank "FORIS" einen Überblick über rund 18 000 Forschungsprojekte.

Die Idee eines Internetangebots zu sozialwissenschaftlichen Fragen und Herausforderungen ging Artus schon länger durch den Kopf. Als er von den Anschlägen auf das World Trade Center erfuhr, habe er sich dann gedacht: "Jetzt müssen wir reagieren." So startete mit dem Internetportal Terrorismus eine neue "Produktlinie". Inzwischen sind weitere Schwerpunkte hinzugekommen: "Israel und die Palästinenser" sowie "Schule & Gewalt".

Informationen unter www.gesis.org/iz

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