Ein Glück, wenn nur ein Schnupfen droht

In der Bonner Bundeskunsthalle besprachen Experten das Phänomen der Viren und spannten den Bogen von medizinischen Aspekten bis hin zu Computern und zum Internet

Bonn. Die rot geflammten Tulpen aus den Niederlanden waren Mitte des 17. Jahrhunderts ebenso rar wie beliebt - und teuer. Warum die Tulpen die hübsche Zeichnung aufwiesen, interessierte niemanden.

Erst 1886 wurde das "Tabakmosaikvirus" entdeckt: Es verursacht an Pflanzen dunkle und helle Streifen. Kann man dieses zuerst entdeckte Virus noch unter der Kategorie "ästhetisch" einordnen, sind Aids, Maul- und Klauenseuche, Ebola und Gelbfieber weit weniger harmlos.

Viren können den Menschen töten, ihm aber auch nützen. Das meinte jedenfalls der Marburger Virologe Albrecht Gröner während des dreitägigen Symposiums "V!rus" in der Bundeskunsthalle: Zum Phänomen Virus spannte es den Bogen von historischen und medizinischen Aspekten bis zu den Bereichen Computer, Politik und Kunst.

Zu den "Guten" zählt Gröner Bakterien fressende Viren: Sie machen nämlich andere, den Verdauungstrakt des Menschen verstimmende Erreger unschädlich. Auch Schädlinge lassen sich teilweise gut mit den Winzlingen bekämpfen. Solche Versuche schlagen manchmal dennoch fehl: Das Myxomatosis-Virus, der in Australien die sich üppig vermehrenden Kaninchen eindämmen sollte, erwies sich nach einiger Zeit als weitgehend unwirksam: Die Immunabwehr der Rammler hatte sich an den Erreger gewöhnt.

Doch auch "Böse" sind unter diesen "Giften", wie schon die lateinische Übersetzung von Virus lautet. Denn Viren sind keine Lebewesen, sie bestehen nur aus Erbsubstanz und einer schützenden Eiweißhülle. Sie brauchen lebende Zellen, um sich zu vermehren. Deshalb nisten sie sich auch allzu oft im Menschen ein.

Gefährliche Krankheiten wie Ebola, Aids und Gelbfieber sind die Folgen. Die winzigen Sonden dringen in die Zellen ein und programmieren deren Erbgut um, so dass sie fortan Viren produzieren. Da scheint es fast schon Glück, wenn man nur Schnupfen bekommt.

Heute gibt es zahlreiche effektive Impfstoffe. Die Menschen nutzten diese Techniken aber bereits im elften Jahrhundert gegen Pocken, berichtet der Virologe. Chinesen und Inder schabten von Erkrankten die Pusteln ab und legten sie Gesunden auf vorher verwundete Stellen. Häufig führte diese Rosskur offenbar dazu, dass die so Behandelten fortwährend immun gegen Pocken waren.

Für Aids steht dagegen heute noch ein wirksamer Impfstoff aus. Ein Umstand, der dem HIV-Virus zu einer Berühmtheit verholfen hat. Das meint jedenfalls Paula Treichler, Kommunikationsforscherin an der Universität Illinois/USA: "Das Virus ist im Jahrhundert der Biotechnologie ein Star."

War bei Aids vor den 80er Jahren noch unspezifisch von "Krankheit" die Rede, steigerten sich die Beiträge zu Bildern à la Science Fiction und der militärischen Terminologie "Krieg gegen Viren".

Dabei hat das Phänomen die Schwelle zur technischen Welt schon lange überschritten - spätestens, seit mit den Computern die "selbstreproduzierenden Programme" erfunden wurden, die heute weniger sperrig "Computer-Viren" heißen. "Eine Brutstätte von Gerüchten und Verschwörungstheorien" hat der freie Autor Peter Mühlbauer aus München auf diesem Gebiet ausgemacht - vor allem, weil "verlässliche statistische Daten" fehlten. Die Virengefahr werde "von Politikern und Medien stark überzeichnet", und die Furcht vor Online-Angriffen gleiche zuweilen einer Paranoia, die selbst unrealistischste Szenarios für möglich hält: Hohe US-Politiker und -Militärs glaubten etwa der Behauptung einer Hackergruppe, "in 30 Minuten das ganze Internet weltweit" lahmlegen zu können.

Und kaum einer erkannte den Jux hinter Gerüchten über ein "Bill Clinton-Virus", das sich angeblich "selbst löscht, weil es sich über sein Angriffsziel nicht entscheiden kann".

"Virale Strategien" hat der Medientheoretiker Eric Kluitenberg aus Amsterdam etwa im Pressewesen ausgemacht. Beispiel: das "Rodney-King-Video" - es zeigte, wie weiße Polizisten einen Schwarzen brutal misshandelten. Einmal im Fernsehen ausgestrahlt, verbreitete es sich wie ein Virus im Bewusstsein der Öffentlichkeit - mit nachhaltiger Wirkung auf die Wahrnehmung von echtem oder angeblichem Rassismus in den Behörden.

Der nach dem 11. September wieder vielbeschworene "Cyberwar" per Computervirus allerdings sei noch keine Realität, sagt der Informatiker Ingo Ruhmann. Zwar komme es zwischen verfeindeten Staaten immer wieder zu eher harmlosen "Web-Graffiti", der Online-Sabotage von Internet-Seiten - bislang etwa zwischen Indien und Pakistan, Taiwan und China oder Israel und den Palästinensern.

Der angebliche "Computerkrieg" jedoch sei bislang hauptsächlich ein Psycho-Kampf mit falschen oder halbwahren Informationen - wenn es etwa heißt, Anweisungen und Einsatzpläne für islamistische Attentäter seien auf gewöhnlichen Fotos im Internet versteckt. Ebenso falsch war die im Kosovo-Krieg verbreitete Behauptung, amerikanische Hacker könnten das serbische Radar per Computer außer Gefecht setzen. In Wahrheit warf die Air Force gewöhnliche Störkörper wie etwa Stanniolstreifen ab - genau die gleiche Taktik wie schon im Zweiten Weltkrieg.

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