"Wissen, was wirkt" Ein Bonner wagt den Blick in die Zukunft von Krankheiten

Bonn · Der Pharmazeut Benjamin Seibt arbeitet mit Methoden der Pharmakogenomik und Gendiagnostik.

Im schlimmsten Fall muss der Krebs-Patient viel zu früh sterben. Und das im Grunde wegen einer Kleinigkeit. Denn es könnte sein, dass sein Körper das verschriebene Medikament gar nicht nutzen kann.

Ein Beispiel: Bei jeder zweiten Frau, die an Brustkrebs erkrankt ist, zeigt die am häufigsten verabreichte Arznei nicht die gewünschte Wirkung - und das bei erheblichen Nebenwirkungen, von denen der Haarausfall noch das geringste Übel ist. Das Medikament, das für zahlreiche Onkologen die erste Wahl ist, stoppt die Krebszellen nicht - weil die Erkrankte nicht über das notwendige Enzym verfügt.

Fehlt dieser biochemische Katalysator, wird der wichtige Antikrebs-Wirkstoff überhaupt nicht verstoffwechselt. Die erhoffte rote Karte für die Krebszellen funktioniert nicht, die Zellen wachsen weiter.

Ein winziges Bisschen Spucke kann ausreichen, dieses Risiko auszuschalten. Pharmakogenomik ist das Stichwort. Ein Speicheltest plus Auswertung kostet zwar rund 400 Euro, verspricht jedoch auch schnell Gewissheit, im besten Falle die Arznei zu ermitteln, die am besten wirken kann. "Wissen, was wirkt": Dieses Motto bringt auf den Punkt, womit sich Dr. Benjamin Seibt beschäftigt. "Die Gene können darüber Auskunft geben, welche Arzneimittel wirken und welche nicht."

Der promovierte Pharmazeut arbeitet in Bonn und versucht, Geheimnisse zu entschlüsseln: "Eine Standarddosis kann bei dem einen Menschen unwirksam und bei einem anderen bereits toxisch sein", sagt der 32-Jährige.

Mit der Pharmakogenomik kann hingegen untersucht werden, wie sich Medikamente im Körper verhalten, bevor sie eingenommen werden. Zudem können Empfehlungen zur individuellen Dosis-anpassung der Arzneien "für eine optimale und auf den jeweiligen Patienten zugeschnittene Arzneimitteltherapie" gegeben werden.

Allerdings vertragen die meisten Menschen ihnen verschriebene Arzneimittel gut.

Das Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Pharmakogenomik, war aber zu keiner Stellungnahme bereit. Auf seiner Internetseite bewertet es die Möglichkeiten des Verfahrens jedoch positiv: "Die gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen moderne patientenindividuelle Behandlungen und führen zur Verbesserung der Patientensicherheit bei neuen Arzneimitteln und Therapiekonzepten."

Nach Angaben des BfArM zählen "etwa drei Prozent der Menschen unserer Bevölkerung zu den sogenannten Ultraschnell-Metabolisierern. Das heißt, dass sie Wirkstoffe in Arzneimitteln deutlich schneller abbauen als die meisten Menschen. Damit steigt das Risiko, dass bei ihnen Nebenwirkungen auftreten oder die therapeutische Wirkung ausbleibt."

Seibt hat sein Unternehmen in Bonn gegründet und verfügt unter dem Dach der Beta-Klinik am Bonner Bogen über ein DNA-Labor. Seit Anfang 2016 besteht sein Unternehmen, für das es nach Angaben des Gründers in Deutschland keine Mitbewerber gebe.

Neben der Pharmakogenomik bietet der in Frechen geborene Jungunternehmer auch Gendiagnostik an. Damit möchte er anhand einer Speichelprobe Krankheiten identifizieren, lange bevor sie ausbrechen. Wie hoch ist das persönliche Risiko an Diabetes, Alzheimer, Parkinson, Darm-, Brust- oder Prostatakrebs zu erkranken?

Mittels der Gendiagnostik wirft Seibt einen Blick in die Zukunft und will herausfinden, welche genetisch bedingten Krankheiten dem Kunden drohen könnten. Das Wissen kann der Kunde dann zur gezielten Vorbeugung oder frühzeitigen Therapie nutzen. Die Ergebnisse werden nicht dem Kunden direkt, sondern seinem Arzt mitgeteilt.

Und wie ist Seibt auf die Idee der Gendiagnostik gekommen? Den Anstoß gab ein Reisender aus Deutschland, den Seibt nach seiner Promotion in den USA kennenlernte. "Wir standen an einem Fahrkartenautomaten auf dem Flughafen von San Francisco und kamen ins Gespräch", erinnert sich Seibt an den schon etwas älteren Herrn aus dem Süden der Republik.

"Das wäre ja klasse, wenn man wüsste, was kommt", habe der Mann gesagt - und Seibt hatte schnell den Gedanken, dass man das ja per Gen-Analyse herausbekommen könne. Er entwickelte die Idee weiter und stellte im Verlauf seiner Weltreise die Weichen für sein Unternehmen. Die Zahl der Tests, die er bislang vorgenommen hat, sei dreistellig, gibt er an.

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