"Die Lehrerausbildung ist nirgendwo besser"

Professor Volker Ladenthin hält das drohende Ende in Bonn dennoch für abwendbar

Bonn. Bei der Lehrerausbildung soll nichts mehr so bleiben wie bisher. Eine von der Landesregierung eingesetzte Experten-Kommission empfahl unter anderem, die Lehrerausbildung in Bonn einzustellen. Der Erziehungswissenschaftler Professor Volker Ladenthin von der Bonner Universität hält Teile des Verfahrens für unfair. Mit Ladenthin sprach Jürgen Rees.

General-Anzeiger: Der Expertenrat hat empfohlen, die Lehrerausbildung in Bonn einzustellen. Hat Sie das Votum überrascht?

Ladenthin: Ja, ich habe geglaubt, dass man die Bedingungen an den Universitäten genau prüft. Jetzt stellen wir fest, dass das Gutachten des Expertenrats nicht so sorgfältig ist, wie wir das erwartet hatten.

GA: Was bedeutet das für Bonn?

Ladenthin: Die Bonner Universität war in der Lehrerausbildung in den vergangenen Jahren sehr aktiv. Sie hat Konzepte vorgestellt, die nicht nur dem entsprechen, was das Land gefordert hat, sondern zusätzlich viele neue Ideen beeinhalten. Das ist in keiner Weise gewürdigt worden.

GA: Der Expertenrat kritisiert, dass die Konzepte nur auf dem Papier bestehen.

Ladenthin: Das stimmt einfach nicht. Wir arbeiten seit zwei Jahren an der Umsetzung des Entwurfs, seit einem Jahr ist das "Bonner Ausbildungszentrum für Lehrerinnen und Lehrer" (BALL) in Betrieb.

GA: Sie selbst haben beklagt, dass die Vorbereitung innerhalb der Universität für BALL zu viel Zeit gekostet hat?

Ladenthin: Die Vorlaufzeit hat tatsächlich sehr lange gedauert. Das kann man zwar beklagen, aber sicher ist, dass zu dem Zeitpunkt, als der Expertenrat seine Begehung in Bonn vorgenommen hat, das "BALL" funktioniert hat. Da konnte man nicht mehr sagen, dass es nur auf dem Papier besteht.

GA: Der Expertenrat hat auch bemängelt, dass Bonn die Fachdidaktik, also die Unterrichtslehre in den jeweiligen Fächern, sträflich vernachlässigt hat. Sehen Sie das genau so?

Ladenthin: Das ist völlig richtig. Nur muss man ehrlicherweise eingestehen, dass die Fachdidaktik in allen nordrhein-westfälischen und auch in allen bundesdeutschen Universitäten im Argen liegt. Mit dem Argument kann man an jeder Universität die Lehrerausbildung aushebeln, es ist nirgendwo besser. Das Argument zieht man immer dann aus der Tasche, wenn man es braucht. Das ist kein angemessenes Verfahren.

GA: Woran liegt es, dass die Fachdidaktik, also die Fähigkeit, auch schwierige Sachverhalte zu vermitteln, vernachlässigt wurde?

Ladenthin: Das hat zwei Gründe. Die Universitäten haben bislang eher die Fachwissenschaften gefördert und gedacht, dass man Fachdidaktik als reines Umsetzungsverfahren nebenbei erledigen kann. Der zweite Grund ist, dass die Evaluation, also die Bewertung der Wissenschaften, nicht danach geht, was man lehrt, sondern danach, was man erforscht und wie viel Drittmittel der Wissenschaftler einwirbt. Da ist die Fachdidaktik natürlich schwächer. Deshalb haben sich die Kollegen verständlicherweise darauf konzentriert, was angesehener ist. Das ist aber überall so, auch in Köln oder Münster, die in dem Gutachten gut wegkommen.

GA: Heißt das, dass es mit der Lehrerausbildung generell nicht gut bestellt ist?

Ladenthin: Das bedeutet es. Die Lehrerausbildung wurde in den vergangenen Jahren einfach vergessen.

GA: Junge Lehrer hatten in der Vergangenheit ja auch praktisch keine Chance, in den Schuldienst zu kommen. Mit der Konsequenz, dass heute an vielen Schulen die jüngsten Lehrer bereits über 40 Jahre alt sind.

Ladenthin: Es fehlt eine Generation, die den Schulkindern altersmäßig nahe steht, ihre Nöte, Sorgen und Bedürfnisse versteht. Außerdem haben die Kinder dadurch kaum Lehrer, die neue gesellschaftliche und technische Entwicklungen wie das Internet in den Schulen glaubhaft vermitteln können.

GA: Dafür finden sich Lehrer heute in allen möglichen Berufen wieder.

Ladenthin (lacht): Man könnte ja sagen, dass die Lehrerausbildung ironischerweise ihre Qualität dadurch bewiesen hat, dass die verhinderten Lehrer gut in anderen Berufen untergekommen sind. Thomas Gottschalk war beispielsweise ein Lehramtsstudent.

GA: Sehen Sie spezifische Versäumnisse in Bonn, die das Ende der Lehrerausbildung rechtfertigen könnten?

Ladenthin: Nein, die sehe ich nicht. Ich stelle fest, dass Argumente, die überall gelten, Bonn zum Nachteil angerechnet werden. Das ist nicht fair.

GA: Wie ist Ihre Einschätzung: Ist das das Aus für die Lehrerausbildung in Bonn? Oder gibt es noch eine Chance?

Ladenthin: Ich denke schon, dass wir eine gute Chance haben. Ich hoffe und gehe davon aus, dass die Vertreter des Düsseldorfer Bildungsministeriums Argumenten zugänglich sind. Dann werden wir sie überzeugen können, dass die Beschreibung des Expertenrats nicht in allen Punkten zutreffend ist und dass man die Entscheidung überdenken muss.

GA: Für die Politik ist das doch eine gute Möglichkeit, sich hinter dem Votum eines Expertengremiums zu verstecken?

Ladenthin: Ich setze auf Rationalität, darauf, dass unsere Argumente überzeugen. Sonst ginge es nur noch um Macht - und das glaube ich nicht.

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