Tereno-Konferenz Die Anamnese des Bodens

BONN · Es braucht lokale Lösungen für den globalen Wandel. Die letzten 100 Jahre: Der deutsche Nordosten ist um 20 Prozent trockener, der Süden und Südosten dagegen um 50 Prozent feuchter geworden.

 Wassertropfen, die auf den Boden fallen, erhöhen die Bodenfeuchte, sofern sie nicht gleich wieder verdunsten. Es ist eine Sisyphus-Aufgabe, das für unterschiedliche Erdwinkel zu ermitteln.

Wassertropfen, die auf den Boden fallen, erhöhen die Bodenfeuchte, sofern sie nicht gleich wieder verdunsten. Es ist eine Sisyphus-Aufgabe, das für unterschiedliche Erdwinkel zu ermitteln.

Foto: dpa

Wenn das Klima sich durch menschliche Ausdünstungen (Treibhausgase) weiter wandelt und Niederschläge umverteilt, muss trotzdem die gleichzeitig wachsende Weltbevölkerung sicher ernährt werden. Auch regional herrscht Anpassungsdruck. Es braucht lokale Lösungen für den globalen Wandel. Die letzten 100 Jahre: Der deutsche Nordosten ist um 20 Prozent trockener, der Süden und Südosten dagegen um 50 Prozent feuchter geworden.

In der Bonner Universität tagt seit am Montag die Tereno-Konferenz: 250 Geowissenschaftler aus aller Welt tragen ihr Wissen rund um die Ernährungsbasis, den Boden, zusammen. Das klingt übersichtlich, ist jedoch das Gegenteil: Bodenfeuchte, Atmosphäre, Vegetation, Verdunstung, Artenvielfalt, Niederschläge diverse Stoffflüsse zwischen Kohlendioxid und Stickstoff. Tereno (TERrestrial ENviromental Observatories) ist ein deutsches Vorzeigeprojekt, das über rund 15 Jahre läuft und sich somit kaum mit einer kurzatmigen Förderung von drei Jahren verträgt, wie sie in der deutschen Forschungslandschaft Standard ist. Um langfristige Trends aufzuspüren, braucht es mehr: "Und wir haben dazu den langen Atem", sagt Professor Georg Treusch, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung.

Rund 7,8 Millionen Euro pro Jahr kostet der Aufbau des Tereno-Netzwerks mit allen Begleitprojekten. Im Zentrum stehen vier Observatorien in der Eifel, in den Voralpen, im mitteldeutschen Tiefland und im Harz - "ein vernetztes Großgerät", sagt Treusch.

Vernetzt ist überhaupt der Schlüsselbegriff für alle Tereno-Aktivitäten, ein zweiter: interdisziplinär. Viele Forscher aus verschiedensten Fachbereichen arbeiten zusammen, insofern habe Tereno "eine Nukleus-Funktion", so Treusch.

Ein Bonner Tereno-Zulieferer kommt aus der experimentellen Meteorologie: Professor Clemens Simmer hat die Sisyphusaufgabe, Daten über Böden, Pflanzen und Lufthülle zu erfassen und zu modellieren, also in mathematische Formeln zu übersetzen. Was von ihm verlangt wird, formuliert Simmer so: "Wie bringt man unterschiedliche komplexe Systeme in einem Modell zusammen?" Eigentlich, so Simmer, müsste man "jedes Blatt, jede Pore modellieren". Am Ende brauche es dann für einen Modelllauf "den größten Rechner", den sich auch keine Universität leisten könne - ebenso wenig wie den Aufbau eines Tereno-Beobachtungssystems. Insofern begrüßt Meteorologe Simmer das deutsche Großprojekt.

Am Ende, so das Ziel, steht ein standardisiertes Verfahren des Messens, der Dateneinspeisung und -verarbeitung - auch von Satelliten - und damit die Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Vielleicht eines Tages sogar weltweit. Was der Mensch sich für ein Handy-Aufladekabel vergeblich wünscht, könnte die Forschung beim Patienten Erde tatsächlich schaffen, denn das internationale Interesse ist geweckt. Treusch: "Wir sind auf dem richtigen Weg, weil wir merken, wer alles nachfragt."

Die internationale Konferenz trägt den Untertitel "Von der Beobachtung zur Vorhersage". Ziel ist es, die bestehenden Unsicherheiten in den Modellen immer weiter zu verringern, und Wilfried Kraus, Leiter des Referats "Nachhaltigkeit, Klima, Energie" im Bundesministerium für Bildung und Forschung, macht es anschaulich. Man könnte es das "Stadtratsproblem" nennen. Wenn Politik und Verwaltung in einer Kommune künftig teure In-frastruktur-Maßnahmen zur Klima-Anpassung beschließen, "wollen sie natürlich vorher maximale Sicherheit haben, dass sie das Richtige tun", sagt Kraus.

Vorhersage aus der Tereno-Perspektive bedeutet dabei keineswegs nur "das Wetter von morgen". Das verdeutlicht Professor Harry Vereecken, der am Forschungszentrum Jülich das Institut Agrosphäre leitet. "Wenn weniger Niederschlag fällt: Wie wirkt sich das auf die Grundwasserbildung aus? Wie auf die Vegetation? Wie auf die Biodiversität?" Vereecken berichtet von Sensoren, die bei Tereno die Bodenfeuchte messen und melden und die Verknüpfung von Radarsystemen mit Radiometern, die beide die Verdunstung ermitteln. Vor allem aber gelte es, "das gesamte System integriert zu betrachten und die Wechselwirkungen festzustellen".

Forscher sind vorsichtige Menschen. Aber ein Trend muss sich in den Daten recht konkret abzeichnen. Vereecken: "Auch im Westen Deutschlands werden die Landwirte irgendwann künstlich bewässern müssen, wie es heute schon im Osten notwendig ist." Da sei er sich "ziemlich sicher".

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