Der virtuelle Arzt aus der Telefon-Steckdose

Ein Messgerät erinnert an die Blutdruck-Kontrolle und meldet die Werte an die Klinik - "Virtuelle Hypertonieklinik" in der Poliklinik der Universität Bonn

Bonn. Herr M. leidet an Bluthochdruck (Hypertonie) - und bei ihm piept es. Vier Mal am Tag ertönt ein Signal aus seinem elektronischen Messgerät: Es erinnert ihn daran, dass er jetzt die Manschette anlegen und seinen Blutdruck messen soll. In welchem Zeitintervall es sich meldet, ist individuell auf den Patienten einstellbar - außerdem, wie oft die gemessenen Werte automatisch über Telefon an eine "virtuelle Hypertonieklinik" laufen. Die wurde jetzt in der medizinischen Poliklinik der Universität Bonn eingerichtet.

Die Unis Bonn und Budapest testen das System im Rahmen eines deutschlandweit ersten Pilotversuchs mit rund 50 Patienten. Eine Ausweitung auf bis zu 2 000 Patienten noch in diesem Jahr ist geplant. Das Messgerät mit Modem kann in jede Telefonbuchse eingesteckt werden und bis zu 600 Messdaten speichern. Über die Telefonleitung, manchmal auch über die normale Post, erhält der Patient zu festgelegten Zeiten dann "Besuch" vom "Teledoktor", der ihm die Auswertung seiner Daten und den Verlauf der Werte erläutert sowie Therapieempfehlungen gibt. Diese sind mit dem Hausarzt abgestimmt, der den Befund ebenfalls erhält.

In der Uniklinik landen alle Daten zur Auswertung auf dem Bildschirm des Kardiologen Thomas Mengden. Rund 15 Millionen Menschen in Deutschland litten unter Bluthochdruck, berichtet er. "Nur ein Zehntel davon wird gut behandelt", berichtet Mengden. Zum Problem trägt bei, dass viele Patienten ihre Medikamente nur unregelmäßig oder gar nicht einnehmen oder ihre Blutdruckwerte nicht korrekt notieren. "Das erschwert die Errechnung von Mittelwerten, die für eine erfolgreiche Therapie und eine gute Blutdruckeinstellung entscheidend sind", sagt Mengden.

"Das Herz schlägt bei normalem Puls rund 5 200 000 Mal in zwei Monaten", rechnet der Mediziner vor. Der Hausarzt könne bei seiner punktuellen Messung aber nur die Blutdruckwerte aus einigen wenigen Herzschlägen festhalten. Der Patient solle mindestens zwei Mal morgens und zwei Mal abends selbst messen, um vernünftige Werte zu erhalten.

"Für kontinuierliche Langzeitüberwachung ist die virtuelle Kontrolle die derzeit modernste und offenbar effizienteste Methode", so Mengden. Denn: "Telemedizinisch überwachte" Patienten verbessern nicht nur ihren Blutdruck, sondern gewöhnen sich auch ans regelmäßige Messen.

Das neue System könne Betreuung und Einstellung von Bluthochdruck-Patienten wesentlich verbessern und damit die gefürchteten und teuren Folgeschäden - Schlaganfall, Herzinfarkt, Nierenversagen - deutlich senken, ist der Kardiologe überzeugt: So verursache ein Schlaganfall im ersten Folgejahr Behandlungskosten von rund 50 000 Euro, sagt Mengden. Den genauen Preis des neuen Messgeräts nennt er nicht. Es sei "knapp drei Mal teurer" als ein normales - und die kosten zwischen 90 und 300 Euro.

Neben der Zu-Hause-Betreuung von Bluthochdruckkranken könnte die virtuelle Hypertonieklinik auch die engmaschige Kontrolle von stationären Patienten mit Herzmuskelschwäche, nach Herzinfarkt oder Schlaganfall in den ersten Wochen nach ihrer Entlassung übernehmen, glaubt Mengden und betont zugleich: "Der Teledoktor ist kein Ersatz für den Hausarzt, sondern dessen Ergänzung." Während vorerst noch er selbst die virtuelle Hypertonieklinik betreut, soll das später ein Call Center oder ein Medizinisches Kompetenzzentrum übernehmen. Noch ist das System allerdings bei den Krankenkassen nicht erstattungsfähig.

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